Was kommt nach Corona? Wir sind uns heute sicher, dass die Wirtschaft mehr als nur einen Knacks davontragen wird. In der Krise müssen sich Regierungen darum bemühen, dass Arbeitnehmer*innen schnell geholfen wird. Wenn wir danach aber einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung in Angriff nehmen wollen, müssen die Weichen richtig gestellt sein. Wir haben dann die einzigartige Gelegenheit aus der Not eine Tugend zu machen! Falsche Investitionsanreize für klimaschädliche Branchen würden uns in Sachen Klimaschutz das Genick brechen. Vielleicht trägt diese Krise sogar dazu bei, dass wir uns unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen bewusst werden. Und dann könnte aus der Krise eine ungeahnte Chance erwachsen – für uns und für alle kommenden Generationen, die genau dasselbe Anrecht auf menschliche Nähe, auf Sicherheit und auf Freiheit haben wie wir.
Gastautor Alex Fischbach
Hier sitze ich und kann nicht anders.
Mir ist klar, dass viele Menschen sich gerade große Sorgen wegen des neuen Coronavirus machen. Mir ist auch bewusst, dass deshalb den meisten Leuten gerade die Ressourcen fehlen, um sich neben der teils schwierigen Organisation des Alltags auch noch mit anderen gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen.
Uns wird gerade durch die historisch einmalige Situation in der sich die Bundesrepublik befindet deutlich, worauf es im Leben ankommt: Eine sichere Versorgung für uns und unsere Liebsten. Menschliche Nähe. Freiheit.
Die Maßnahmen, die unsere Regierung nun beschlossen hat um den Virus in die Schranken zu weisen, schränken auch unser Leben ein. Bei allem Verständnis schauen viele auch skeptisch auf diese Entwicklungen. Soll der Staat die Bewegungen seiner Bürger*innen nachverfolgen dürfen, um so Kontaktpersonen von Infizierten zu ermitteln? Wie lange kann ein Verbot von größeren Menschenansammlungen aufrecht erhalten werden? Ist es wirklich richtig die Wirtschaft wissentlich so stark herunterzufahren?
Natürlich kann man verstehen, dass der Klimaschutz in den Medien vor diesem Hintergrund gerade keine große Beachtung erfährt. Mancher fordert sogar ein Aufschieben von Klimaschutzvorhaben, um nach überstandener Coronakrise der Wirtschaft schnell wieder auf die Beine helfen zu können. Ich kann diese Überlegungen verstehen, aber sie sind grundfalsch.
Wissenschaftlichen Fakten sind Meinungen egal. Mit der Physik kann man nicht diskutieren. Das Coronavirus interessiert sich nicht dafür, ob wir Ferien gebucht hatten, uns auf das Abitur vorbereiten wollten oder uns schon lange auf dieses Konzert oder jenen Karnevalsumzug freuen. Es verbreitet sich einfach munter über die ihm zur Verfügung stehenden Wege weiter, und weil wir noch keinen Impfstoff haben, können wir es daran nur hindern, indem wir uns vor ihm verstecken.
Natürlich könnten wir uns auch einfach durchseuchen lassen. Aber da wir über kein wirksames Medikament und nur begrenzte Kapazitäten im Gesundheitswesen verfügen, wäre das eine ziemlich hirnrissige Idee. Jedenfalls würde es den meisten Menschen mit ein bisschen Empathie völlig zurecht wie eine absolute moralische Bankrotterklärung vorkommen. Verständlicherweise möchte sich niemand mit dem Gedanken an hunderttausende Tote abfinden. Deshalb lassen wir tiefe Einschnitte in unseren Alltag über uns ergehen. Wir stellen unsere Bedürfnisse zurück, sind solidarisch mit unseren Mitmenschen und das ist wunderbar!
Langfristig steuern wir aber auf eine viel größere Krise zu, die wissenschaftlich genauso zweifelsfrei vorhergesagt ist, wie die exponentielle Ausbreitung von COVID-19, wenn wir keine Gegenmaßnahmen ergreifen.
Der Weltklimarat berechnete 2018 das verbleibende Restbudget an CO2, das wir noch in die Atmosphäre blasen dürfen, wenn wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% das 1,5°-Ziel erreichen wollen, auf 420 Gigatonnen. Da wir jährlich etwa 40 Gigatonnen emittieren, bleiben rechnerisch noch ca. 340 Gigatonnen übrig. Mit anderen Worten: Wenn wir so weiter machen wie bisher, dann ist unser Budget in 8 Jahren aufgebraucht. Würden wir jetzt damit beginnen unseren Ausstoß linear zu senken, müssten wir 2035 klimaneutral sein. Dieses Ziel verfehlen wir mit dem Pfad, auf dem wir uns aktuell befinden um Lichtjahre.
Manche sagen dazu, dass es schon nicht so schlimm kommen werde und sich der Mensch in seiner Geschichte ja auch schon an andere Klimaveränderung angepasst hat. Dem liegt ein Denkfehler zugrunde: Es stimmt zwar, dass der Homo Sapiens schon einmal einen enormen Temperaturanstieg überstanden hat. In der Eiszeit waren wir allerdings noch in Jäger-Sammler-Kulturen unterwegs. Alles, was wir als menschliche Zivilisation bezeichnen würden, entstand im Holozän. So wird der Zeitabschnitt seit ca. 10.000 v. Chr. bezeichnet in dem wir gerade (noch) leben und der von ausgesprochen geringen Klimaschwankungen bestimmt war. Wie anfällig Zivilisationen für Klimaschwankungen sind, sieht man ziemlich gut an der sogenannten „Kleinen Eiszeit“. Eine vorübergehende Abkühlung der mittleren Temperatur um ein knappes Grad hatte vor allem im 16. und 17. Jahrhundert n. Chr. schwere Hungersnöte und soziale Umwälzungen zur Folge. Die Ernährung von Abermillionen von Menschen funktioniert nur in Agrargesellschaften und die Erträge der Ernten hängen nach wie vor von den klimatischen Bedingungen ab.
Was bedeutet das mit Blick auf die aktuelle Klimakrise? In aktuellen Schätzungen wird davon ausgegangen, dass wir auf einem 4° wärmeren Planeten ca. eine Milliarde Menschen ernähren könnten. Richtig sicher können wir uns nicht sein. Wir wissen nicht, wie eine so heiße Erde aussehen wird. Es war in der Geschichte der Menschheit zwar schon wesentlich kälter, aber noch nie dauerhaft heißer als jetzt. Mit Sicherheit stehen uns auf dem aktuellen Pfad aber Hungersnöte und Verteilungskämpfe von noch nie gesehenem Ausmaß bevor.
So weit, so schlimm. Aber was hat das alles mit COVID-19 zu tun? Zweierlei. Auf der einen Seite gibt es eine Relevanz für die politische Praxis, die beide Krisen miteinander verbindet. Auf der anderen Seite gibt es eine metaphorische Verknüpfung. Ich beginne mit letzterem.
Weiter oben habe ich postuliert, dass es hirnrissig wäre, wenn wir ohne Impfstoff und Medikamente einer Durchseuchung tatenlos zusehen würden. Das stimmt. Noch um ein vielfaches dümmer wäre es allerdings, wenn wir bereits einen Impfstoff und Medikamente hätten deren Wirksamkeit erwiesen wären und wir diese nicht verwendeten. In der Klimapolitik tun wir aber genau das. Wir haben „Impfstoffe“, also Mittel die dazu im Stande sind weiteren Schaden abzuwenden: Windräder und Photovoltaikanlagen, Elektromotoren, Speichertechnologien, Niedrigenergiehäuser, alternative Produktionsmethoden, Verkehrskonzepte, ökologische Landwirtschaft und vieles mehr. Und wir haben „Medikamente“, also Mittel um entstandenen Schaden zu kurieren: Wiederaufforstung und -vernässung, Renaturierung, vielleicht auch technische Lösungen. Aber wir verwenden diese Medikamente und Impfstoffe kaum. Wir könnten den Klimavirus auch stark abbremsen, wie wir es gerade mit COVID-19 machen: Postwachstumsökonomie und Degrowth sind aber im wirtschaftlichen Diskurs mindestens so unbeliebt wie dauerhaft zuhause bleiben und Versammlungen verbieten.
Was kommt nach Corona? Wir sind uns heute sicher, dass die Wirtschaft mehr als nur einen Knacks davontragen wird. In der Krise müssen sich Regierungen darum bemühen, dass Arbeitnehmer*innen schnell geholfen wird. So wie wir jetzt alle zusammenstehen (indem wir alleine Zuhause sitzen), sollte es keinen Unterschied machen, ob eine selbständige Clubbetreiberin oder ein angestellter Flugbegleiter in finanzielle Schieflage geraten – wir müssen einander helfen. Der Staat muss seinen Bürger*innen zur Seite springen. Wenn wir danach aber einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung in Angriff nehmen wollen, müssen die Weichen richtig gestellt sein. Wir haben dann die einzigartige Gelegenheit aus der Not eine Tugend zu machen! Falsche Investitionsanreize für klimaschädliche Branchen würden uns in Sachen Klimaschutz das Genick brechen. Setzen wir aber mit Bedacht auf eine Dekarbonisierung der Wirtschaft, indem wir gezielt die oben beschriebenen „Impfungen“ fördern und die „Medikamente“ gleich mitdenken, haben wir vielleicht noch eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft.
Das klang jetzt vielleicht alles ein bisschen technisch und ihr fragt euch, was das soll. Es ist ganz einfach: Ohne eine gehörige Menge Druck aus der Bevölkerung wird die Politik nichts davon beschließen. So wie wir jetzt unsere Mitmenschen schützen und solidarisch sind, indem wir unsere sozialen Kontakte einschränken, so können wir nach überstandener Coronakrise unsere Mitmenschen vor der Klimakrise schützen, indem wir die Regierung zwingen endlich echten Klimaschutz zu betreiben. Wir müssen viele sein und wir müssen laut sein.
Vielleicht trägt diese Pandemie dazu bei, dass wir uns darauf besinnen was uns glücklich macht, nämlich unsere Freunde und Familien. Tanzen und Singen und Musizieren, Spielen, Reden und Lachen und ein festes Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit, fließendes Wasser und meinetwegen auch ein ausreichender Vorrat an Klopapier. Vielleicht trägt diese Krise sogar dazu bei, dass wir uns unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen bewusst werden. Und dann könnte aus der Krise eine ungeahnte Chance erwachsen – für uns und für alle kommenden Generationen, die genau das selbe Anrecht auf menschliche Nähe, auf Sicherheit und auf Freiheit haben wie wir. Das wäre schön.
Den Blog von Alex Fischbach mit dem Artikel finden Sie hier.
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