Eine Studie vom Herbst 2023 von Li Gao, Qingyang Wu und anderen mit dem Titel „The impact of wind energy on plant biomass production in China“ (Die Auswirkung von Windenergie auf die Biomasse-Produktion von Pflanzen in China), veröffentlicht vom renommierten Magazin „Nature“ wird zitiert mit dem angeblichen Ergebnis, dass Windparks „eine signifikante Verringerung der pflanzlichen Biomasseproduktion durch den Bau von Windparks … innerhalb eines Bereichs von 1-10 km“ hervorrufen würden. Erschreckend. Schaut man aber genau hin (und die gesamte Studie steht im Internet zur Verfügung, inklusive der Ergebnistabellen), so muss man feststellen: „Signifikant“ bedeutet hier: „statistisch signifikant“ im Sinne von „mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen“, nicht aber „massiv“ oder „stark“. Denn tatsächlich sind die in der Studie gefundenen Veränderungen durch Windparks äußerst schwach.
In ihrer Studie haben die Autoren anhand von Satellitenbildern diverse Vegetationsindizes untersucht, und zwar den Normierten Differenz-Vegetationsindex (NDVI), den Optimierten Vegetationsindex (EVI), den Anteil der absorbierten photosynthetisch aktiven Strahlung (FPAR), den Blattbedeckungsindex (LAI), die Brutto Primärproduktivität (GPP), die Netto Photosynthese (NP), die Netto Primärproduktivität (NPP), die Prozent Baumbedeckung (PTC), die Prozent Vegetation (ohne Bäume) (PNTV) und die Prozent Ödland (PNV) und haben deren jeweiligen Werte vor der Errichtung von Windparks mit jenen in verschiedenen Jahren nach der Errichtung von Windparks verglichen, und außerdem in Abhängigkeit vom Abstand vom Rand des Windparks.
Fehlende Skalenangaben
In der Zusammenfassung der Ergebnisse formulieren die Autoren dann „Within a 1–10 km buffer, the normalized differential vegetation and enhanced vegetation indices decrease from 0.0097 to 0.0045 and 0.0075 to 0.0028, respectively.“ – das heißt nicht „von 0.0097 auf 0.0045“ sondern „um Werte zwischen 0.0097 und 0.0045“. Dies wird aber erst beim Blick in die Datentabellen klar, denn was es neben missverständlich formulierten Aussagen sehr erschwert, die Ergebnisse einzuordnen, sind die fehlenden Skalenangaben der oben genannten Kennzahlen und das Fehlen von absoluten Werten für diese Kennzahlen: Wie groß war z.B. der Normierte Differenz-Vegetationsindex, der um Werte zwischen 0.0097 und 0.0045 zurückging? So lässt folgende zentrale Grafik, die augenscheinlich dramatische Einflüsse der Windparks suggeriert (und je schlimmer, desto näher man ist) jede vertikale Skalenangabe vermissen:
Durchschnittliche Auswirkungen von Windparks auf die pflanzliche Biomasseproduktion nach Distanz
Ein Blick in die Datentabellen im Anhang offenbart sehr unterschiedliche Wertebereiche: NDVI und EVI habe Werte zwischen -1 und 1; FPAR, PTC, PNTC und PNV sind Prozentangaben zwischen 0 und 100; der LAI kann Werte zwischen 0 und 10 annehmen, der GPP hat einen Wertebereich von 0 bis 300, der NP von -300 bis 300 und der NPP von -3 bis 3. Außerdem findet man dort tatsächlich die Mittelwerte der jeweiligen Vegetationsindizes sowie ihre Minimal- und Maximalwerte.
Ungereimtheiten
Und hier wird es interessant und seltsam: Denn während die Skala des Anteils der absorbierten photosynthetisch aktiven Strahlung (FPAR) von 0 bis 100 reicht, geben die Autoren den beobachteten Maximalwert mit 154,025 an. Also 154% des einfallenden Sonnenlichts wurden absorbiert? Ähnlich seltsam ist der Blattbedeckungsindex (LAI), dessen Skala bis 10 geht, für den aber ein Maximalwert von 12,945 beobachtet wurde. Was außerdem seltsam ist: Die Gesamtmittelwerte fast aller Indizes sind in der Tabelle 3 des Anhangs nach Errichtung der Windparks höher als davor – ganz im Gegensatz zu den publizierten Ergebnissen. Nur Prozent Baumbedeckung (PTC) und Prozent Vegetation (ohne Bäume) (PNTC) sind im Gesamtmittel gesunken (und Prozent Ödland (PNV) wie erwartet gestiegen).
Vergleich mit den Absolutwerten
Aber ignorien wir diese Ungereimtheiten und wenden uns den publizierten Ergebnissen zu. Auch diese finden sich in den Datentabellen im Anhang der Studie. Wenn man die jeweiligen Wertebereiche normiert (wodurch sie auf dieselbe vertikale Achse aufgetragen werden können), kann man die berichteten Änderungen mit den jeweiligen Mittelwerten und ihren Minimal- und Maximalwerten vergleichen. Wir haben hierfür die einzelnen Änderungen, die in der Studie nach Entfernung vom Rand des Windparks gestaffelt sind, zusammengefasst, in dem wir die größte Änderung im Bereich zwischen 0 und 10 km genommen haben und hiervon die Änderung im Abstand von mehr als 15 km abgezogen haben (welche als Vergleichswert für die Änderung ohne Bau eines Windparks dient).
Wenn man die Mittelwerte vor Errichtung der Anlagen (die Grenze zwischen grauem und blauem Balken) mit denen nach der Errichtung vergleicht (die orangen/roten Striche), so fällt auf, wie wenig sich die Werte durch die Errichtung verändert haben – nur bei Prozent Vegetation (ohne Bäume) und Prozent Ödland kann man überhaupt eine Änderung erkennen. Daher betrachten wir die prozentuale Änderung im Verhältnis zum Mittelwert vor dem Bau.
Man erkennt, dass hier tatsächlich alle Indizes negative Veränderungen erfuhren (bis auf den Anteil Ödland, der erwartungsgemäß wuchs), allerdings beträgt die maximal beobachtete Änderung 5% des Mittelwerts. Von einer massiven Verschlechterung kann hier also keine Rede sein!
Waldverlust
Leider sind in der Studie keine Angaben über die mittlere Fläche der betrachteten Windparks enthalten, daher gehen wir bei den Entfernungsangaben von konzentrischen Kreisen aus – in Wirklichkeit sind die untersuchten Flächen also größer. Addiert man den prozentualen Waldverlust (d.h. die Änderung Prozent Baumbedeckung PTC) im jeweiligen Ring auf und setzt diesen Flächenverlust ins Verhältnis zur Gesamtfläche, so ergibt sich ein Verlust von weniger als 0,18% der Gesamtfläche bis zum Radius von 10km (auf eine Gesamtfläche von 691 km2 ergibt sich ein Gesamtverlust von 1,2 km2). Auch hier sind dies keinerlei dramatische Ergebnisse und bei weitem nicht zu vergleichen mit den Waldverlusten, die der Klimawandel hervorruft.
Äußerer Radius des Rings [km] | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
Fläche des Rings [km2] | 3,142 | 9,425 | 18,850 | 31,416 | 47,124 | 65,973 | 87,965 | 113,097 | 141,372 | 172,788 |
Änderung Baumbedeckung [%] | -0,0257 | -0,1521 | 0,0226 | 0,0461 | -0,0176 | -0,1665 | -0,2195 | -0,1294 | -0,2066 | -0,2733 |
Aufsummierte Fläche [km2] | 3,142 | 12,566 | 31,416 | 62,832 | 109,956 | 175,929 | 263,894 | 376,991 | 518,363 | 691,150 |
Aufsummierter Baumverlust [km2] | -0,0008 | -0,0151 | -0,0109 | 0,0036 | -0,0047 | -0,1145 | -0,3076 | -0,4540 | -0,7460 | -1,2183 |
Aufsummierter Baumverlust [%] | -0,026% | -0,121% | -0,035% | 0,006% | -0,004% | -0,065% | -0,117% | -0,120% | -0,144% | -0,176% |
Änderung der CO2-Aufnahme
Breiten Raum nimmt die Analyse der CO2-Aufnahmefähigkeit der Gebiete um die untersuchten Windparks ein. Die Autoren berechnen diese mit einem komplizierten Verfahren, welches diverse Parameter wie die CO2-Aufnahmefähigkeit von Bäumen, die untersuchten Flächengrößen und diverse Konstanten benutzt. Sie kommen zu dem Schluss, dass in einem Bereich bis 20km um den Windpark über 12.000 Tonnen CO2 weniger aufgenommen werden können. Man kann diese Werte allerdings auch unter Verwendung der Messdaten für die Brutto-Primärproduktivität (GPP) berechnen. Diese gibt an, wie viel Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter in einem 8-Tageszeitraum aufgenommen werden. Für jeden Radius haben die Autoren den Rückgang dieses Wertes ermittelt und angegeben. Multipliziert man diese Wert mit den Flächengrößen des jeweiligen Rings und summiert alle Ringe auf, kommt man auf vergleichbare Werte wie die Autoren mit ihrem o.g. Verfahren berechnet haben.
Allerdings erlauben diese Angaben noch einen weiteren Einblick. Man kann nämlich die Zusammenhänge zwischen dem Rückgang der Waldbedeckung (PTC) und dem Rückgang der Kohlenstoff-Aufnahmefähigkeit (GPP) bestimmen. Es ist zu erwarten, dass eine starke positive Korrelation besteht, d.h. je größer die Baumbedeckung, desto größer die Kohlenstoff-Aufnahmefähigkeit. Tatsächlich aber ist die Korrelation schwach negativ, nämlich -0,46. Der Schluss, den man ziehen muss: An den Bäumen bzw. dem Wald liegt der Rückgang der CO2-Aufnahme nicht.
Woran liegt er dann? Man kann dieselbe Berechnung für die Kennzahlen Prozent Vegetation (ohne Bäume) (PNTC) und Prozent Ödland (PNV) durchführen, und dort kommen klare Korrelationen von 0,87 (je mehr Vegetation, desto mehr Kohlenstoff-Aufnahme) und -0,86 (je mehr Ödland, desto weniger Kohlenstoffaufnahme) heraus. Offensichtlich werden die Messungen in der Studie vollständig von Gras- oder Ackerland dominiert. Über den Wald kann gar keine qualifizierte Aussage getroffen werden.
Weitere Aspekte
Auf drei weitere Aspekte der Studie möchte ich hinweisen:
- Die Windparks in China umfassen im Mittel 38 Windräder – dies ist bei weitem mehr als üblicherweise in deutschen Wäldern gebaut wird. Daher sind die Ergebnisse auch nur eingeschränkt auf Deutschland übertragbar. Der größte betrachtete Windpark besteht sogar aus 434 Windkraftanlagen!
- Die Autoren stellen fest, dass die Resilienz der Natur um einen Windpark um so höher ist, je rauher das Klima ist (was ausgedrückt wird als Höhe über dem Meeresspiegel von mehr als 500m). Vegetation, die sowieso schon an wechselhafte Wetterbedingungen angepasst sind, leidet weniger als Vegetation in feuchten, tiefergelegenen Gebieten. Dies wiederum bedeutet, dass der Studie zufolge die deutschen Mittelgebirgsregionen (mit Höhen von 400m oder mehr) eher weniger unter dem Bau von Windparks leiden würden als tiefergelegene Gebiete.
- Der Hauptautor der Studie, Li Gao ist Professor am Instititut für Ökonomie und Management der „China University of Petroleum Beijing„, die diesen Namen tatsächlich deswegen trägt, weil sie von fünf größeren staatlichen chinesischen Energieunternehmen gesponsert wird und eine lange Geschichte der Forschung im Bereich der Erdölforschung hat. Zwei weitere Autoren (Jixiang Qiu, Yiran Yao) sind ebenfalls dort beschäftigt.
Fazit
Obgleich die Autoren der Studie darauf hinwirken möchten, dass beim Bau von Windparks mehr Rücksicht auf die Natur genommen wird, so lassen die Ergebnisse trotzdem nicht den Schluss zu, dass die Natur durch Windparks massiv geschädigt würde – vielmehr weisen sie einmal mehr nach, dass Windenergie eine äußerst sanfte Art der Energieerzeugung ist.
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