Ein Gastartikel von Joshua Ben
Erstmals soll es bei einem Fusionsexperiment gelungen sein, mehr Energie freizusetzen als hineingesteckt wurde!
Eine Sensation? Der Durchbruch zur zivilen Nutzung der Kernfusionstechnologie? Der ‚heilige Gral‘ der Energiegewinnung? Spoiler: NÖ.
Das Internet quillt gerade mal wieder über von populärwissenschaftlicher Desinformation zum aktuellen Stand der Kernfusionsforschung. Einer der besseren Artikel dazu findet sich bei Spektrum und ein Satz ist in diesem Artikel besonders bemerkenswert:
„Für ein Kraftwerk sei diese Vorgehensweise jedoch nicht brauchbar.“
Vorsicht… jetzt wird’s ein wenig nerdy. Ich entschuldige mich schon mal vorab bei allen Plasmaphysiker:innen, wenn ich einige Eckpunkte der Kernfusion im Folgenden ein wenig zu stark vereinfacht darstelle. Zivile Kernfusionsnutzung hat so viele Herausforderungen, dass ich euch für eine genauere Befassung mit dem Thema gerne auf diese (relativ verständliche) Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik verweise. Ja… hab ich mir schon gedacht, dass ihr euch nicht 106 Seiten zum Thema Physik durchlesen wollt, aber macht euch keine Sorgen: Das habt ihr mit allen Politiker:innen gemeinsam, die in der Kernfusion eine Möglichkeit zur Lösung der Klimaproblematik sehen – die haben’s nämlich auch nicht verstanden.
Kurz vorweg: Kernfusion ist eine spannende Möglichkeit, in einer viele Jahrzehnte entfernten Zukunft klimaneutrale Energie zu erzeugen; zur Lösung der Klimaproblematik kommt diese Technologie allerdings zu spät. Der Warp-Antrieb ist auch eine spannende Möglichkeit, in einer noch ferneren Zukunft, das Reisen zwischen Planeten zu revolutionieren. Für die gegenwärtigen Planungen von Marsflügen kommt die Technologie allerdings zu spät.
Das Experiment der NIF
Eine Kernfusion zu erzeugen ist gar kein so großes Ding. Das klappt in Wasserstoffbomben ziemlich zuverlässig. Dooferweise auch ziemlich unkontrolliert. Die Herausforderung ist nun, die Kernfusion kontrolliert herbeizuführen, dafür zu sorgen, dass sich die Fusionsreaktion selbst erhält – und sie dann auch noch so zu beherrschen, dass eine energetische Nutzung möglich ist. Eine Kernfusion kontrolliert zu starten, das ist bereits mehreren Forschungsteams geglückt; Leider musste dabei jeweils deutlich mehr Energie aufgewendet werden als die Fusionsreaktion erzeugt hat. Hier wollen die Forscher:innen der National Ignition Facility (NIF) nun einen Durchbruch erzielt haben:
Zumindest in der Nettobetrachtung musste weniger Energie in die Initiierung der Fusion gesteckt werden, als ‚herausgeholt‘ wurde. Wobei im besagten Versuchsaufbau keine Energie gewonnen wurde, es wurde lediglich messtechnisch erfasst, wieviel Energie dabei frei wurde, denn:
Die Forscherinnen und Forscher am NIF »mussten 500 Megajoule Energie in die Laser stecken, um dann 1,8 Megajoule ans Ziel zu schicken – das heißt, obwohl sie 2,5 Megajoule herausgeholt haben, ist das immer noch weit weniger als die Energie, die sie ursprünglich für die Laser benötigten.«
Das größere Problem ist allerdings:
Bei der Versuchsanordnung des NIF wird die ‚Versuchskammer‘ durch die Fusionsreaktion zerstört – wodurch wiederum automatisch die Fusion abbricht. Für eine wirtschaftliche Nutzung ist es eher unschön, wenn ein Kraftwerk durch die Nutzung zerstört wird. Nutzbar ist die Energie einer Kernfusion erst dann, wenn sich die Kernfusion ’selbst erhält‘, wozu Temperaturen von > 100 Millionen Grad erforderlich sind. Plasma mit einer derart hohen Temperatur zu kontrollieren, das ist die eigentliche Herausforderung der Kernfusions-Technologie; das klappt bisher immer nur für wenige (Bruchteile von) Sekunden.
Mal abgesehen davon, dass die gegenwärtigen Forschungsprojekte darauf abzielen, diese Zeitspanne auf Minuten auszudehnen, muss bei der Eindämmung dieser enormen Kräfte mit Magnetfeldern soviel Energie aufgewendet werden, dass bei der Beherrschung der Fusionsreaktionen bisher wesentlich mehr Energie aufgewendet werden muss als sie erzeugt. Gegenwärtig hofft man, etwa im Jahr 2035 eine stabile Fusion aufrecht erhalten zu können – für ein paar Minuten.
Freilich ohne Energiegewinn.
Die Frage ist zunächst, ob man es überhaupt schafft, die Fusionsreaktionen zu kontrollieren. Denn dieses blöde ultraheiße Plasma hat die unangenehme Eigenschaft, sich den Sicherheitsvorkehrungen der Wissenschaftler:innen immer wieder zu entziehen und dabei dann die Versuchsreaktoren zu schrotten. Die man dann halt wieder erneuert, modifiziert und von Neuem startet. Für irgendwas müssen die Milliarden an Forschungsgeldern ja gut sein.
In einigen Artikeln wird nun unreflektiert behauptet, dass der Versuchsaufbau des NIF den Vorteil habe, dass gar keine kontinuierliche Fusion nötig sei. Unter uns: Das löst ein Problem – wirft aber zahlreiche andere Probleme auf:
- Wenn es gelänge, die initiale Energie zur Auslösung der Fusion zu minimieren und die Energiefreisetzung zu maximieren, könne man sich einen Reaktor vorstellen, der Energie dadurch erzeuge, dass eine Abfolge von immer neuen Initialzündungen mit nachfolgenden ‚Fusions-Explosionen‘ verbunden werde. Hört sich zunächst (halbwegs) logisch an, kämpft aber unter anderem mit dem Problem, dass für diese Funktionsweise nicht genug ‚Brennstoff‘ vorhandenen wäre: Dooferweise gilt es weltweit nämlich nur 20 kg Tritium.
Kernfusions-Reaktoren, welche nach dem weiter oben beschriebenen Prinzip funktionieren sollen (z.B. ITER), mögen viele Probleme mit sich bringen, sie haben allerdings den entscheidenden Vorteil, dass sie das benötigte Tritium im Prozess selbst produzieren – wenn alles gut geht. - Dieses Problem liesse sich bei einer laserinduzierten Kernfusion dadurch umgehen, dass man Wasserstoff-Bor-Gemische verwendet. Das Problem daran ist wiederum, dass die Initiierung einer Bor-Proton-Reaktion 10 mal mehr Energie bedarf als es nun bei den Versuchen der NIF der Fall war, die ein Deuterium-Tritium-Gemisch verwendeten; Das würde die ohnehin bescheidene Gesamtenergiebilanz nochmal um einige Faktoren beschissener machen.
Die Kernfusionshoffnung
Die Wissenschaftler:innen hoffen, die Technologie bis 2040 derart im Griff zu haben, dass der Einschluss des heissen Plasma gewährleistet werden kann und man sich anschließend Gedanken über die Stromproduktion machen kann. Was jetzt auch nicht komplett trivial ist, weil man bei 100 Millionen Grad nicht einfach so einen Wärmetauscher einbaut… aber die Umwandlung von Wärme in elektrische Energie ist tatsächlich kein Hexenwerk. Klar, da gibt es letztlich jede Menge Energieverluste zu berücksichtigen, um hinten wieder die Energie rauszuholen, die man vorne reinstecken muss, aber wenn das alles erstmal stabil funktioniert…
…dann haben wir trotzdem noch ein dickes Problem. Tun wir mal so, als hätten wir im Jahre 2050 eine Technologie, die Plasma genauso sicher einschliesst wie ein heutiger Verbrennungsmotor die Explosionen in seinem Inneren. Ach… ihr glaubt ich will nun darauf hinauf, dass auch der stabilste Motor irgendwann unplanmäßig seinen Geist aufgibt, und was wäre, wenn das bei einem Fusionsreaktor passiert? Nee – das wäre ein ganz anderes Thema.
Sondern: Selbst wenn alles tutti paletti abläuft, können bei der Eindämmung der Fusion nicht alle Auswirkungen der ablaufenden Reaktionen von einem Magnetfeld abgeschirmt werden: Es ist unausweichlich, dass schnelle Fusionsneutronen die Wandungen des Fusionskraftwerkes erreichen. Die Wandungen werden vom sogenannten ‚Blanket‘ geschützt. Durch den dauerhaften Beschuss mit Neutronen wird dieses Blanket jedoch so stark beansprucht, dass es in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden muss (nebenbei erwähnt: Bei den ausgetauschten Blanket-Modulen handelt es sich dann um radioaktiven Müll). Und hier ist der Haken: Gegenwärtig gibt es noch gar keine Materialien, die dem Neutronenbeschuss in einer Weise standhalten könnten, dass der häufige Austausch der Blankets einen Fusionsreaktor nicht von vornherein unwirtschaftlich machen würde, denn klar: Während des Austausches der Blanket-Module muss der Reaktor runtergefahren werden, was bei Kernfusionsreaktoren der Zukunft weitere Materialherausforderungen mit sich bringt, denn dauernde extreme Temperaturwechsel führen zu thermo-mechanischen Belastungen, denen heutzutage auch noch keinerlei Materialien gewachsen sind. Selbst die fortschrittlichsten Versuchsreaktoren sind daher nicht mal annährend auf einen Dauerbetrieb ausgelegt; Beim Blanket handelt es sich beispielsweise um ein Bauteil, welches in heutigen Fusionsexperimenten noch überhaupt nicht benötigt wird.
Soll heißen: Zu einer wirtschaftlichen(!) Nutzung der Kernfusionstechnologie wird es vor dem Jahre 2060 nicht kommen. Und das auch nur, wenn auf dem Weg dorthin all jene Probleme gelöst werden, die heutzutage eben noch nicht gelöst sind und von denen man nicht mit bestimmter Sicherheit sagen kann, ob sie jemals gelöst werden.
Ich persönlich glaube, dass es die Forscher:innen nach der Mitte dieses Jahrtausends tatsächlich schaffen werden, Strom mit Kernfusion zu erzeugen. Allerdings wird am Anfang ein erhebliches Energiedefizit stehen. Bis die Technik stabil funktioniert, wird es für den Klimawandel zu spät sein.
Nochmal: Hier sind längst nicht alle Probleme der Kernfusionstechnologie angesprochen. Und eigentlich schreibe ich diesen Beitrag auch nur, weil mir die Durchbruch-Berichterstattung im Großteil der verfügbaren Medien auf die Nerven geht. Aber ich hoffe, ihr seid beim Lesen zumindest nicht dümmer geworden.
Zusätzlich zu den Ausführungen von Joshua Ben möchte die Redaktion noch auf folgenden Twitter-Thread des Klimaforschers Stefan Rahmstorf aufmerksam machen, in dem er überlegt, ob Kernfusion überhaupt klimaneutral ist. Denn obwohl sie kein CO2 erzeugt, so erzeugt sie doch Wärme, und diese Wärme führt sie, anders als erneuerbare Energien, dem System Erde von außen zu. Darüberhinaus stellt er fest, dass die erneuerbaren Energien exponentiell wachsen, wie wir das auch in unserem Artikel zu Disruption ausgeführt haben.
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