BIP und CO2
Die folgende Grafik zeigt das Bruttoinlandsprodukt und den jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid, aufgetragen auf derselben Zeitskala.
Die Ähnlichkeit der beiden Kurven ist erschreckend. Fast vollständig parallel zeigen beide einen exponentiellen Verlauf. Unsere Wertschöpfung (denn das ist es, was das Bruttoinlandprodukt misst) ist direkt korreliert mit unserem CO2-Ausstoß und damit der Zerstörung unserer Welt.
Aus dieser Erkenntnis heraus tobt ein weltweiter Kampf der Ideen darum, wie sich die Menschheit angesichts planetarer Grenzen weiter entwickeln soll. Seit 1972 der Club of Rome die Grenzen des Wachstums veröffentlicht hatte, und diese Grenzen seither von Regierungen und Firmen konsequent ignoriert wurden, wird „Wachstum“ von immer mehr Menschen als die Ursache allen Übels ausgemacht und Forderungen nach einem Ende des Wachstums werden immer lauter.
Was ist Wachstum?
Das Bruttoinlandsprodukt gibt den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen an, die während eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft als Endprodukte hergestellt wurden, nach Abzug aller Vorleistungen. (Wikipedia). „Wachstum“ bezeichnet die prozentuale Änderung des BIP zwischen zwei Jahren und war und ist der zentrale Indikator dafür, wie gut es einem Land geht und auf den sich alle staatlichen Aktivitäten konzentrieren.
Angesichts der immer deutlicher werdenden Probleme, die dieses Wachstum mit sich bringt, gibt es eine Reihe Ideen, wie sich die Menscheit weiter entwickeln soll, eine davon ist die des grünen Wachstums, das davon ausgeht, dass sich Ressourcenverbrauch und Wachstum entkoppeln lassen, dass also die Wirtschaft weiter wachsen und mehr und mehr Güter herstellen kann, während gleichzeitig die Nutzung von Land, Materialien und der Ausstoß von Treibhausgasen zurückgeht. Zumindest in Deutschland scheint dies möglich:
Kritiker dieses Konzepts wie der Volkswirt Niko Paech bezeichnen diese Idee als „Widerspruch in sich“, „Wunder“ und „Mythos“ und propagieren mit der These der Post-Wachstums-Ökonomie eine radikale Rückkehr zur Subsistenz und Suffizienz, also Selbstversorgung und Genügsamkeit.
Mögliche Entwicklungen
Wir wollen versuchen, die unterschiedlichen Ideen, wie mit dem Wachstum umzugehen ist, grafisch zu gruppieren. Unser aktueller Zustand sieht folgendermaßen aus:
Setzt sich diese Entwicklung fort, werden wir die planetaren Grenzen in naher Zukunft überschreiten, und es kommt zum Kollaps:
Angesichts zunehmender Umweltverschmutzung und globaler Erwärmung, beständiger Ernteausfälle und Hungersnöte, Verteilungskriegen und Flüchtlingen, Überschwemmungen und Stürmen gerät das Wirtschaftssystem, die Gesellschaft überhaupt an ihre Grenzen. Da interessanterweise die Beseitigung der Folgeschäden ebenfalls zum BIP gezählt wird, wird das BIP auch nach der Überschreitung der planetaren Grenzen (die naturgemäß keine harten, sondern weiche Grenzen sind) noch eine Weile weiter wachsen, bis schließlich die Wirtschaft komplett zusammenbricht.
Um dies zu verhindern, muss das Wachstum begrenzt werden, entweder dadurch, dass die Wirtschaft immer langsamer wächst, und die Grenzen immer weiter ausgeschöpft werden (obere Kurve), oder indem sie radikal zurückgeht (untere Kurve), um schließlich in der stationären Wirtschaft bzw. der Stagnation zu enden.
Letzteres ist die Entwicklung, die von Wachstumskritikern wie Paech propagiert wird und als Degrowth bezeichnet wird. Das Problem an dieser Idee ist aber die Tatsache, dass sie zum einen Bevölkerungsreduktion voraussetzt, und zum anderen setzt diese Idee auf die Selbstbeschränkung der Menschen im Sinne des ökologischen Fußabdrucks, der spannenderweise vom großen Umweltsünder BP zwar nicht erfunden, aber instrumentalisiert wurde, um von der eigenen und der gesellschaftlichen Verantwortung abzulenken. Und natürlich werden sich die allermeisten Menschen nur ungern auf ein vor-industrielles Zeitalter zurückentwickeln wollen. Bäuerliche Klein- und regionale Tauschwirtschaft waren charakteristisch für das Mittelalter, und die Menschen im Mittelalter waren alles andere als umweltbewusst und Raubbau an der Natur, vor allem am Wald war normal. Ob durch einen solchen Rückzug ins Regionale also überhaupt eine gobale Verbesserung der Lebensverhältnisse einhergehen würde, ist äußerst fraglich.
Aus diesen Gründen würde sich diese Entwicklung, sofern sie überhaupt durchsetzbar ist, früher oder später wieder umkehren, und wir treten in einen Zyklus aus Regression und Wachstum ein.
Zudem ignoriert dieses Modell die Kraft der menschlichen Innovation, die durch die gegenseitige Befruchtung der Ideen ein ungeahntes Ausmaß angenommen hat.
Künstliche Grenzen
Um diese Innovationskraft zu stimulieren, braucht es aber politisch und gesellschaftlich vorgegebene Grenzen, innerhalb derer sich die Wirtschaft entwickeln kann. Diese Idee wird als Donut-Ökonomie bezeichnet, die 2012 von der Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth entwickelt wurde.
Aber warum eigentlich nur die Wirtschaft?
Andere Indikatoren
All diese Modelle stellen nicht den Indikator BIP an sich in Frage und bleiben damit eindimensional; dabei gibt es eine Menge anderer Indikatoren, bei denen ein weiteres Wachstum möglich und wünschenswert wäre, so zum Beispiel
- der Human Development Index, der Lebenserwartung, Bildung und Einkommen in einem Wert zusammenfasst, bzw mit
- dem Human Sustainable Developement Index auch noch die Treibhausgasemissionen mit einbezieht,
- der Genuine Progress Indicator, der vom BIP die Umweltkosten abzieht,
- der World Happiness Report, der das BIP um soziale Faktoren wie Zusammenhalt, Lebenserwartung, freie Entfaltung und Großzügigkeit erweitert
- das qualitative Wachstum, das Gesundheit, Bildung, Arbeitsqualität, Freizeit, Kaufkraft, Umwelt, Sicherheit und Chancengleichheit zusammenfasst
- und viele weitere
Als erste Länder haben Island, Neuseeland und Schottland die Abkehr vom Wirtschaftswachstum als Ziel staatlichen Handelns beschlossen und messen stattdessen das Wohlbefinden als Kombination aus psychischer Gesundheit, Kinderarmut, Ungleichheit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Diese Idee, auf andere Betätigungsfelder auszuweichen, und Wachstum nicht als immer mehr Desselben zu definieren, sondern als Weiterentwicklung in immer neue Richtungen, hat der Physiker Anders Levermann in einem genialen Artikel und seinem im Juni 2023 erscheinenden Buch als „Faltung“ bezeichnet: Die mathematische Faltung ist die Kombination zweier Funktionen zu einer neuen Funktion. Diese Idee der „unendlichen Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination“ dürfte Star-Trek-Fans als Philosophie der Vulkanier geläufig sein.
Im Format unserer Graphik dargestellt, bedeutet dies, auf weitere Dimensionen auszuweichen, und das BIP nach und nach in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen, weil es als sinnvoller Indikator an seine Grenzen geraten ist:
Wenn man Wachstum so auffasst und sich vom reinen Wirtschaftswachstum löst, eröffnen sich der Menschheit unzählige Betätigungsfelder und Entwicklungsmöglichkeiten, in denen sie weiter wachsen kann. Wenn Renaturierung und Drawdown zu einem Wert werden, wenn weltweite Gleichheit und Bildung das Ziel werden, dann lösen sich die Konflikte zwischen planetarer Grenzen und menschlicher Entwicklung auf, dann kann man wachsen ohne den eigenen Wohlstand aufzugeben und ohne auf eine aktive Verbesserung der weltweiten Verhältnisse zu verzichten.
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