(Kein) Netzausbau für die Energiewende?

Was sind zellulare Netze?

Brauchen wir einen Netzausbau für die Energiewende? Oft schlagen die Wellen hoch, wenn diese Frage diskutiert wird. Denn die Frage ist falsch gestellt. Von was für Netzen sprechen wir eigentlich, wenn wir von Netzausbau für die Energiewende sprechen?

Das Stromnetz

Struktur des Stromnetzes
Struktur des Stromnetzes
  • Das Höchstspannungs- oder Übertragungsnetz arbeitet mit 220.000 Volt und dient dazu, von Großkraftwerken erzeugten Strom an große Leistungstransformationen und ins internationale Verbundnetz zu leiten
  • Das Hochspannungs- oder Verteilnetz arbeitet mit 110.000 Volt und versorgt verschiedene Regionen, Städte oder große Industriebetrieb über deren Umspannwerke. Große Windparks speisen auf dieser Ebene ihren Strom ein.
  • Das Mittelspannungsnetz hat 20.000 Volt und verteilt den Strom an Krankenhäuser, Fabriken oder Transformatorenstationen. Auf dieser Ebene speisen auch Stadtwerke, die meisten Windparks und Solarparks ihren Strom ein.
  • Das Niederspannungsnetz schließlich hat 220 Volt und verteilt den Strom in die einzelnen Häuser und auf dieser Ebene speisen auch private PV-Anlagen ihren Strom ein.

Netzausbau?

Wenn Stromtrassengegner sich gegen die Ausbaupläne der Bundesnetzagentur wenden, dann wenden sie sich gegen das Höchstspannungsnetz – welches sogar auf 380.000 Volt erhöht werden soll. Angesichts dessen, dass erneuerbare Energien zwei Level darunter einspeisen ist klar, dass sich dieser Widerstand nicht gegen die Energiewende richtet.

Und auf diesen untersten zwei Leveln brauchen wir tatsächlich einen Ausbau der Netze, um die Energiewende zu stemmen. Diese untersten Level sind der Grund dafür, dass man Wallboxen und PV-Anlagen dem Netzbetreiber melden muss, damit dieser den Ausbau planen kann (wobei Balkonkraftwerke mit ihrer maximal zulässigen Leistung von 600 Watt, angesichts der Tatsache dass ein Heizlüfter von 2000 Watt ohne Meldung betrieben werden darf, durchaus kein Problem darstellen – hier wiehert einfach nur der Amtsschimmel).

Wie aber kann nun ein Energiesystem organisiert werden, welches ohne einen Ausbau des Höchstspannungsnetzes auskommt? Soll von diesem nicht angeblich der Windstrom vom Norden in den Süden transportiert werden? Aktuell sieht man ja schon, dass sich vermehrt Wirtschaftsbetriebe im Norden Deutschlands ansiedeln, wo günstiger Windstrom zur Verfügung steht. Die Antwort lautet: Zellulare Netze.

Zellulare Netze

Schematischer Aufbau des zellularen Energiesystems
Schematischer Aufbau des zellularen Energiesystems

Wie wir gesehen haben, kann schon auf der untersten Ebene Strom erzeugt werden, auf der Ebene der einzelnen Häuser. Diese bilden die Ebene 5 des Energiezellenkonzepts. Und auch gespeichert werden kann die Energie schon auf dieser Ebene. Aber natürlich erzeugt nicht jedes Haus (gleich viel) Strom, nicht jedes Haus hat einen Speicher und nicht jedes verbraucht gleich viel. Und diese Unterschiede geben sie an die nächste Ebene 4 weiter, das Quartier oder Stadtviertel. Aber klar ist: Wenn die einzelnen Gebäude einen Teil ihres selbst erzeugten Stroms selbst verbrauchen, bzw umgekehrt einen Teil ihres Bedarfs selbst erzeugen, dann ist die Belastung der nächsten Ebene geringer.

Auf der vierten Ebene (Quartiere, Dörfer oder Stadtviertel) befinden wir uns immer noch im Niederspannungsnetz – aber hier kommen Blockheizkraftwerke, Power to Gas, bidirektionales Laden und lokale Wärmespeicher zu einer solchen Energiezelle hinzu. Durch diese Komponenten kann schon ein Teil der Unterschiede zwischen den einzelnen Gebäuden ausgeglichen werden – hierzu muss ein autonomes, digitales Regelungssystem installiert werden, welches diesen Ausgleich optimiert, ein Residuallast-Management. Interessanterweise ist hierfür keine vollständige Digitalisierung aller Haushalte mit Mess- und Steuertechnik notwendig, es reicht wenn 5-10% aller Messpunkte in einem Ortsnetz ihre Daten digital an ein zentrales Regelungssystem melden. Im Idealfall ist eine solche Zelle sogar autark – d.h. sie kann im Notfall ohne Anschluss an das Mittelspannungsnetz (eine Zeit lang) weiter funktionieren. Aber natürlich klappt das nicht immer, daher sind diese Energiezellen der vierten Ebene jeweils Teile der nächsten Ebene.

Auf der dritten Ebene des zellularen Netzes (Städte), dem Mittelspannungsnetz kommen die schon genannten Solarparks und Windenergieanlagen hinzu, außerdem größere Industriebetriebe, Batterie-Großspeicher, Wärmespeicher sowie flexibilisierte Biogasanlagen. Auf dieser Ebene der Städte sollte eine weitgehende Autarkie erreicht werden können – wieder organisiert durch ein eigenes autonomes Energiemanagementsystem, das mit den Zellen der vierten Ebene bzw die genannten größeren Komponenten über deren jeweils eigenen Regelungssysteme kommuniziert und den Energieaustausch zwischen ihnen organisiert – und von diesen ggf. einen geringeren oder erhöhten Bezug von Energie zur Glättung von Last- oder Erzeugungsspitzen fordert. Diesen Aspekt, der ebenfalls zur Stabilisierung der Zelle beiträgt, nennt man Demand Side Management – und die vierte Ebene kann die Forderung weitergeben an Power-to-Gas-Anlagen oder Elektrofahrzeuge, die bidirektional laden können.

Auf der zweiten Ebene (Regionen), dem Hochspannungsnetz, werden die Zellen der dritten Ebene untereinander koordiniert, sowie mit Gasspeichern, Großindustrie, Wasserkraftwerken und großen Windparks. Diese Zellen der zweite Ebene, also einzelne Regionen sind fast immer autark – sofern es tatsächlich genügend Energieerzeugung in diesen Zellen gibt – und hier stehen manche Landespolitiker noch immer zu oft auf der Bremse. Sollte trotzdem noch ein Austausch von Energie nötig sein, erfolgt dieser durch das Energiemanagementsystem von Ebene zwei schlussendlich mit der ersten Ebene.

Die erste Ebene des zellularen Netzes, das Höchstspannungsnetz sorgt für die Koordination der Regionen untereinander, mit dem Ausland und mit den erneuernbaren Äquivalenten der Großkraftwerke, den Offshore-Windparks.

Divide et impera

Die Idee hinter den zellularen Netzen ist also sehr einfach: Teile und herrsche. Je weniger Überschuss und Bedarf jede Zelle mit der nächsthöheren Ebene austauscht, desto stabiler funktioniert das Gesamtsystem und dadurch werden auch große Übertragungsleitungen überflüssig. Es gibt nicht mehr die eine Komponente, deren Ausfall zu einem flächendeckenden Blackout führen kann – und auch keinen Energieträger, der flächendeckend die Preise bestimmt. Diese werden vielmehr ebenfalls auf jeder einzelnen Zelle ausgehandelt – und wer an eigener Energieerzeugung spart, der muss diese Energie von anderen Zellen einkaufen – nicht von zentralen Versorgern, die die Preise diktieren können.

Und natürlich müssen für den Aufbau eines solchen Systems enorme Investitionen getätigt werden – also ist in der Tat ein Ausbau des Netzes notwendig. Aber eben nicht zentral, sondern dezentral. Jede Region, jede Stadt, jedes Quartier, jeder Haushalt kann jederzeit damit beginnen und nach und nach wächst das skizzierte Gesamtsystem zusammen.

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Über Thomas Rinneberg 21 Artikel
Diplom-Technomathematiker; Software-Architekt