Behauptungen zur Windkraft – Ungleichmäßige Erzeugung

Wöchentliche Stromerzeugung aus EE in 2019

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über alle Behauptungen zur Windenergie.

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Behauptung

Windkraftanlagen liefern oft gar keinen Strom, die Flauten müssen mit riesigen Speichern überbrückt werden, die nochmal Geld kosten, oder die Kohle-, Atom- und Gaskraftwerke müssen weiterlaufen um den Grundbedarf zu decken. Insgesamt ist Windkraft eine sehr teure Art der Stromerzeugung.

Außerdem ist die Erzeugung der erneuerbaren Energien zu ungleichmäßig und führt zu riesigen Frequenzänderungen, die das Netz zusammenbrechen lassen, wenn zu wenige Generatoren Strom erzeugen und die Netzfrequenz durch ihre rotierende Masse stabil halten.

Diskussion

Als Beispiel für ineffiziente Energieerzeugung durch Wind nimmt sich Vernunftkraft den 08. August 2020 heraus und behauptet in diesem Zusammenhang folgendes (1):

… lieferten (die Windkraftanlagen) zusammen 0,24 % ihrer Nennleistung. Von der installierten Kapazität in Höhe von 61,5 GW (nur Norddeutschland) wurden ganze 153 MW eingespeist:

In der Einzelbetrachtung ist diese Aussage nicht falsch. Am 08. August 2020 gab es zwischen Flensburg und München deutschlandweit kaum Wind. (2) Die gesamte Einspeisung durch Windkraft lag an diesem Tag bei 60 GWh. Spitzenreiter war an diesem Tag allerdings die Energiegewinnung durch Solar. Diese lag bei 270 GWh, mehr als Braunkohle mit 240 GWh. (3)

Betrachtet man nun einen anderen Tag, zum Beispiel den 06. Juli 2020, so gab es an diesem Tag in weiten Teilen Deutschlands einen konstant wehenden Wind mit Geschwindigkeiten bis zu 40 km/h. An diesem Tag stellte mit 680 GWh die Windkraft die Energiequelle mit der höchsten Leistung dar. Es folgte mit 230 GWh die Energiegewinnung durch Solar. (Abbildung 1)

Strommix am 6.7. und 8.8.2020
Abbildung 1: Anteile der verschiedenen Energieträger am 6.7.2020 und 8.8.2020 (Zusammenschnitt der Grafiken aus (4) und (3))

Die Gesamteinspeisung durch alle Energiequellen betrug am 06. Juli 2020 1,46 TWh. Mit 1,08 TWh aus rein erneuerbaren Energien deckten diese Energiequellen knapp 74% der gesamten Energieproduktion in ganz Deutschland ab. Selbst am windarmen 8.8.2020 hatten sämtliche erneuerbaren Energiequellen einen Anteil von mehr als 41%. Denn selbst trotz Flaute brachten es die erneuerbaren Energiequellen an diesem Tag auf 500 GWh. (4)

Erneuerbare Energiequellen sind stets in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Nachts scheint keine Sonne, dennoch liefern Energiequellen aus Biomasse oder durch Wasserkraft weiterhin Energie zur Einspeisung ins Netz, weil diese nicht an den Tag/Nacht-Zyklus gebunden sind. Bei Regen liefern Energiequellen aus Solar kaum Strom, jedoch kann die Energiegewinnung weiterhin durch Wind, Biomasse oder Wasser erzeugt und ins Netz gespeist werden. Alle erneuerbaren Energiequellen ergänzen sich einander. Insbesondere gibt es keine langanhaltenden Dunkelflauten, die eine Energiespeicherung über Monate hinweg erforderlich machen würden, siehe Abbildung 2.

EE-Ertrag Jahreszyklus
Abbildung 2: Saisonale Schwankungen des Wind- und Solarertrages in Deutschland (5)

Eigentlich ist der schleppende Ausbau von erneuerbaren Energiequellen der Hauptgrund, warum immer noch herkömmliche Energiequellen dazugeschaltet werden müssen. Mit einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung kann der komplette Strombedarf, ja der gesamte Primärenergiebedarf in ganz Deutschland gedeckt werden (6) (7). Egal bei welchem Wetter.

Hans-Werner Sinn

Ein sehr bekannter Sprecher gegen die Energiewende durch erneuerbare Energien ist der Ökonom Hans-Werner Sinn, der fast jedes Jahr auf den „Münchner Seminaren“ wiederholt, dass es unmöglich sei, insbesondere die saisonalen Schwankungen der erneuerbaren Energien, für die er den eingängigen Begriff „Zappelstrom“ geprägt hat, durch (Pump-)Speicher auszugleichen. Hierfür verwendet er auch Ende 2019 noch Beispiel-Zahlen aus 2014 (Abbildung 3).

Hans-Werner Sinn
Abbildung 3: Hans-Werner Sinn zur Unmöglichkeit der Pufferung erneuerbarer Energien (8)

H.-W. Sinn argumentiert suggestiv und auf mehrfache Weise falsch.

  1. Der Begriff Zappelstrom suggeriert kurzfristige Frequenzschwankungen, die zu Stromausfällen führen können. Diese Gefahr ist aber durch die erneuerbaren Energien nicht gegeben – Deutschland hat trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien neben Dänemark (welches einen noch höheren Ausbaugrad hat) die wenigsten Versorgungsunterbrechungen in Europa. (9) (10) Wenn es größere Stromausfälle gibt, dann nicht durch erneuerbare Energien, sondern durch konventionelle, insbesondere durch atomare Großkraftwerke, die H.-W. Sinn als Lösung für die Energiewende anpreist. (11)
  2. Als eigentliches Problem meint er aber den angeblichen Bedarf saisonaler Speicher, einem sehr langfristigen Problem – das ebenfalls nicht existiert, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, und beispielhaft für 2019 in Abbildung 4

    Wöchentliche Stromerzeugung aus EE in 2019
    Abbildung 4: Wöchentliche Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen in Deutschland in 2019 (12)

  3. Er vergreift sich um mehr als den Faktor 10 in der Größenordnung der benötigten Speicher. Dies erreicht er durch folgenden Trick: Er stellt die beiden Extremszenarien a) Vollständiges Verbot von Abregelungen und damit den Bedarf, sämtliche Überschüsse komplett zu speichern und b) vollständige Bedarfsdeckung ohne Einsatz jeglicher Speichertechnologien gegenüber und berechnet ihre Differenz. In der Praxis wird man aber natürlich Überschüsse auch abregeln und bei Mangel an Erzeugung Speicher entladen. Seine Kalkulationen wurden vom DIW Berlin gründlich geprüft und für falsch befunden (13). Während Sinn bei einem Anteil von 89% fluktuierender erneuerbarer Energien (Sonne und Wind) von 16,3 TWh benötigtem Pumpspeicher ausgeht (14), werden bei einer erlaubten Abregelung tatsächlich nur 1,1 TWh benötigt. (15)

    Speichebedarf bei Sinn und anderen Autoren
    Abbildung 5: Benötigte Speicherkapazitäten nach Sinn und anderen bei unterschiedlichem Anteil fluktuirender erneuerbarer Energien (Wind und Sonne) in Deutschland (logarithmische Y-Achse). Die Prozent-Angaben an den Datenpunkten ist die jeweils zulässige Abregelung der fluktuierenden Energiequellen.

  4. Er ignoriert komplett die breite Vielfalt von möglichen Speichertechnologien sowie die Sektorenkopplung – Überschussstrom kann neben Pumpspeichern gespeichert werden in stationären Batterien von Haushalten und Gewerbebetrieben, mono- und bidirektional ladbaren Elektroautos, Warmwasser, Haushaltswärme, Prozesswärme, saisonale Wärmespeicher, Power to Gas bzw Power to Liquid (also die Erzeugung von Wasserstoff und Methan durch Elektrolyse). (16) (17)
  5. Er nimmt – obwohl er Ökonom ist – keine ökonomische Gesamtkalkulation vor in dem Sinn, dass er die günstigste Lösung sucht – sondern er sucht immer nur wieder Argumente zusammen, die angeblich beweisen sollen, dass eine Versorgung aus erneuerbaren Energien nicht möglich ist. Auch das wurde in (13) dargelegt.

Der oft bemühte Begriff Grundlast dient eigentlich nur dazu, um bestimmte Kraftwerksarten einzuordnen. Er ist für die Energieversorgung vollkommen irrelevant, denn relevant ist nur, dass der Bedarf zu jedem Zeitpunkt gedeckt werden kann. (18) (19)

Einen sehr ausführlicher Faktencheck zu den Behauptungen von Hans-Werner Sinn hat Prof. Stefan Krauter in diesem Video vorgenommen.

Netzstabilität

Es ist korrekt, dass die Netzstabilität durch die klassischen Kraftwerke durch die rotierenden Massen der Generatoren erzeugt wird. Wenn mehr Strom verbraucht als erzeugt wird, werden die Generatoren langsamer, weil der zusätzliche Verbrauch aus der Rotationsenergie der Generatoren entnommen wird. Dadurch sinkt die Netzfrequenz und dies ist gleichzeitig das Signal, mehr Dampf zu erzeugen und so die Generatoren wieder zu beschleunigen.

Es ist allerdings nicht korrekt, dass erneuerbare Energien das Netz nicht auch stabil halten können, weil sie keine rotierenden Massen haben. Die Funktion der Generatoren wird dabei von modernen Wechselrichtern übernommen, die auf elektronischem Wege innerhalb von Millisekunden auf Änderungen von Verbrauch oder Erzeugung reagieren und diese ausgleichen können, sofern ein ausreichender Batteriespeicher zur Verfügung steht. (20) Ein Pilotprojekt für eine solche Inselanlage, die tagsüber nur über Solar und Batterien das Netz stabil hält wurde auf der karibischen Insel St. Eustatius errichtet (Abbildung 6). Und mindestens ein vollständig energie-autarkes Dorf gibt es auch in Deutschland, Feldheim in Brandenburg. (21) Mit erneuerbaren Energien als Hauptenergiequelle droht kein Blackout.

Netzstabilisierung mit Batterie
Abbildung 6: Netzstabilisierung mittels elektronischer Umschaltung zwischen Solar und Batterien. Die rote Linie zeigt die Erzeugung durch den Solarpark, die wegen schneller Wolken sehr stark schwankt. Dies wird durch Batterien abgefangen (grüne Linie), so dass der Verbrauch stabil gedeckt wird (gelbe Linie). Nachts werden noch Diesel-Generatoren eingesetzt (violette Linie). (22)

Erneuerbare Energien sind darüber hinaus prinzipiell auch schwarzstart-fähig, d.h. sie können nach einem Blackout ohne externe Stromquelle hochfahren und die Versorgung übernehmen, sofern sie über ausreichend Batteriekapazität verfügen. Dies ist für klassische Kraftwerke nicht der Fall, sie benötigen immer Strom von außen, um in Betrieb gehen zu können. (23) Allerdings ist die Schwarzstart-Fähigkeit durch erneuerbare Energien in Deutschland aktuell noch nicht gegeben, da der erforderliche Zusammenschluss der Erzeuger zu Verbundkraftwerken noch nicht implementiert wurde. (24)

Mehr zum Thema Netzstabilität finden Sie in diesem Artikel.

Fazit

Erneuerbare Energien benötigen Pufferspeicher – allerdings in viel kleinerem Ausmaß als von Hans-Werner Sinn postuliert und es steht hierfür bereits eine Vielzahl an Technologien zur Verfügung. Bei einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien droht kein Blackout – weder durch kurzfristige Frequenzschwankungen noch wegen Dunkelflauten oder saisonaler Schwankungen.

Quellen

  1. vernunftkraft. Nullkommazweivier Prozent. [Online] : Vernunftkraft, 2020. https://www.vernunftkraft.de/nullkommazweivier-prozent/.
  2. meteostat. Wetterdaten Flensburg und München. [Online] : meteostat, 2020. https://meteostat.net/de/place/DE-6PNT und https://meteostat.net/de/place/DE-4J08.
  3. Fraunhofer ISE. Tägliche Stromerzeugung in Deutschland in Woche 32 2020. [Online] : energy-charts, 2020. https://energy-charts.de/energy_de.htm?source=all-sources&period=daily&year=2020&week=32.
  4. —. Tägliche Stromerzeugung in Deutschland in Woche 28 2020. [Online] : energy-charts, 2020. https://energy-charts.de/energy_de.htm?source=all-sources&period=daily&year=2020&week=28.
  5. Kaspar, Frank et alii. A climatological assessment of balancing effects and shortfall risks of photovoltaics and wind energy in Germany and Europe. [Online] : Advances in Science and Research, 2.7.2019. https://asr.copernicus.org/articles/16/119/2019/.
  6. Philip Sterchele, Julian Brandes, Judith Heilig et. alii. Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem. Freiburg : Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, 13.2.2020. https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/Fraunhofer-ISE-Studie-Wege-zu-einem-klimaneutralen-Energiesystem.pdf.
  7. Quaschning, Volker. Sektorkopplung durch die Energiewende. Berlin : Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, 20.6.2016. https://www.volker-quaschning.de/publis/studien/sektorkopplung/index.php.
  8. Sinn, Hans-Werner. Wie retten wir das Klima und wie nicht? München : Youtube, 20.12.2019. https://www.youtube.com/watch?v=DKc7vwt-5Ho.
  9. AEE. Versorgungsunterbrechungen im europäischen Vergleich. [Online] : Agentur für Erneuerbare Energien, 7.2018. https://www.unendlich-viel-energie.de/mediathek/grafiken/versorgungsunterbrechnungen-im-europaeischen-vergleich.
  10. —. Versorgungsunterbrechungen in Deutschland und Anteil Erneuerbarer Energien 2006-2018. [Online] : Agentur für erneuerbare Energien, 1.2020. https://www.unendlich-viel-energie.de/mediathek/grafiken/versorgungsunterbrechungen-in-deutschland.
  11. Streck, Ralf. Alle Jahre wieder: Frankreich am großen Blackout vorbeigeschrammt. [Online] : heise.de, 14.1.2019. https://www.heise.de/tp/features/Alle-Jahre-wieder-Frankreich-am-grossen-Blackout-vorbeigeschrammt-4273544.html.
  12. Fraunhofer ISE. Wöchentliche Stromerzeugung in Deutschland in 2019. [Online] : energy-charts, 30.7.2020. https://www.energy-charts.de/energy_de.htm?source=all-sources&period=weekly&year=2019.
  13. Wolf-Peter Schill, Alexander Zerrahn, Claudia Kemfert, Christian von Hirschhausen. Die Energiewende wird nicht an Stromspeichern scheitern. Berlin : Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 2018. https://www.diw.de/de/diw_01.c.591373.de/publikationen/diw_aktuell/2018_0011/die_energiewende_wird_nicht_an_stromspeichern_scheitern.html.
  14. Sinn, Hans-Werner. Buffering volatility: A study on the limits of Germany’s energy revolution. [Online] : European Economic Review Vol. 99, 10.2017. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0014292117300995.
  15. Alexander Zerrah, Wolf-Peter Schill, Claudia Kemfert. On the economics of electrical storage for variable renewable energy sources. [Online] : European Economic Review Vol. 108, 9.2018. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0014292118301107.
  16. Quaschning, Volker. Distributed storage for the energy transition. [Online] : YouTub, 17.6.2016. https://www.youtube.com/watch?v=tR95eD2ZuAU&feature=youtu.be.
  17. Russell-Wells, Klaus. 5 Energiespeicher für die Zukunft der Energiewende. [Online] : Youtube, 10.6.2018. https://www.youtube.com/watch?v=evjD-h1r7Qk.
  18. Müller, Klaus. Mythos Stromblackout wegen erneuerbarer Energien. [Online] : eemag – das Magazin der europäischen Energiewende, 30.12.2019. https://energiewende.eu/mythos-stromblackout-wegen-erneuerbaren-energien/.
  19. Kemfert, Claudia. Energiewende – keine Angst vor dem Zappelstrom-Tsunami. [Online] : Capital, 4.6.2018. https://www.capital.de/wirtschaft-politik/energiewende-keine-angst-vor-dem-zappelstrom-tsunami.
  20. Enertrag. Systemstabilität. [Online] : Ein erneuerbares Energiesystem. https://enertrag.org/y/systemstabilitaet/.
  21. Dilba, Denis. Das autarke Dorf. [Online] : ZEIT ONLINE, 12. Februar 2013. https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/02/Autarkes-Dorf-Energiewende.
  22. Baars, Anke. St. Eustatius: 100% Solar Power in the Caribbean. [Online] : SMA Solar Technology AG, 14. Dec. 2017. https://www.sma-sunny.com/en/st-eustatius-100-solar-power-in-the-caribbean/.
  23. Wikipedia. Schwarzstart. 2020. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzstart.
  24. Enertrag. Schwarzstart. [Online] : Ein erneuerbares Energiesystem. https://enertrag.org/y/schwarzstart/.

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