Der letzte Koalitionsausschuss der Ampel-Parteien Ende März 2023 stand ganz im Zeichen der Energie- und Klimapolitik. Die insgesamt 30-stündigen Beratungen gestalteten sich, vor allem aufgrund der weit auseinander liegenden Positionen der Grünen und der FDP zäh, endeten aber laut Kanzler Scholz mit „sehr sehr sehr guten Ergebnissen“.
Wir haben uns das offizielle Papier der Koalitionäre etwas genauer angesehen. Den Enthusiasmus unseres Kanzlers können wir zwar nicht nachvollziehen, andererseits erkennen wir an, dass es tatsächlich Ergebnisse gibt. Einige davon wären hinsichtlich der Minderung der Folgen des Klimawandels essenziell, würden sie buchstabengetreu umgesetzt. Zweifel daran sind jedoch aufgrund des Scheiterns ähnlicher, schon mehrfach in der Vergangenheit angekündigter Vorhaben, angebracht. Insbesondere können wir die reichlich gestreuten Bekundungen, Planung und Realisierung zielführender Projekte zu beschleunigen, nicht so recht ernst nehmen.
Inhalte, denen wir zustimmen
Es gibt ein klares Bekenntnis zur Schiene:
„Zentraler Baustein einer modernen und leistungsfähigen Infrastruktur ist der Ausbau und die Modernisierung des Schienennetzes.
…
Die Koalition hat vereinbart, deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße zu investieren…
Was „deutlich mehr Geld“ bedeutet, wird man beobachten müssen, weil derzeit immer noch ein Missverhältnis bei Verkehrsinvestitionen zugunsten der Straße besteht. Auch scheint uns das für 2030 ausgerufene Ziel, der Schienengüterverkehr möge bis dahin einen Marktanteil von 25 Prozent besitzen, wenig ambitioniert. Die Schweiz liegt schon aktuell nahe 40 Prozent.
Fokussierung auf Sanierung des Straßennetzes (statt auf Neubau von Straßen).
Fortsetzung des letzten Zitats:
„…und bei Straßen einen stärkeren Fokus auf Erhalt und Sanierung zu legen, mit besonderem Schwerpunkt auf Ingenieurbauwerke.“
Die Ertüchtigung maroder Straßenbrücken ist in der Tat seit längerem eine äußerst dringliche Aufgabe, die durch Vermeidung von Umleitungen und Staus auch CO2-Emissionen senken würde.
Bereitstellung von Flächen für Windkraftanlagen in kommunaler Verantwortung
„Gewerbe und Industrie brauchen mehr günstigen Windstrom. Dazu ist es erforderlich, kurzfristig zusätzliche Flächen für Windkraftanlagen an Land bereitzustellen. Dafür soll der Handlungsspielraum für Kommunen erweitert werden, indem die Kommunen auch dann Flächen für Windenergie ausweisen können, wenn die regionalen Planungen in ihrem Gebiet keine Windflächen vorgesehen haben.“
Wenn Kommunen unter Einbeziehung der eigenen Bürger zukünftig selbst darüber entscheiden können, wo Windräder gebaut werden, ergeben sich daraus gleich mehrere positive Effekte. Der Ausbau der Windkraft dürfte insgesamt schneller vonstatten gehen. Die Akzeptanz der Bürger für Windkraft steigt – und das um so mehr, je mehr sie in die kommunalen Projekte eingebunden und z.B. über günstigere Strompreise an den Erträgen beteiligt werden. Im Idealfall entstehen wieder mehr Bürgerenergiegenossenschaften, die mit kleineren, verbrauchernahen Windparks einen wichtigen Beitrag zur dezentralen Stromerzeugung leisten.
Ausbau der erneuerbaren Energien an Straßen und Schienenwegen
Dieses Potenzial ist auch unserer Meinung nach längst nicht ausgeschöpft. Bevor man z.B. über Windräder im Wald oder in zu großer Nähe zu besiedelten Flächen nachdenkt, sollte man die reichlich vorhandenen Lücken entlang der Verkehrswege schließen.
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Erneuerung von Heizungen
Dies war das am intensivsten diskutierte energiepolitische Thema der letzten Tage. Grüne und FDP lieferten sich diesbezüglich eine, vor aller Öffentlichkeit geführte heftige Auseinandersetzung. Dazu steht im Text:
„Im Koalitionsausschuss am 24. März 2022 wurde … beschlossen, gesetzlich festzuschreiben, dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll.“
Wirtschaftsminister Habeck auch vorher nichts anderes im Sinn. Dennoch unterstellte man ihm subtil, er wolle ab Anfang nächsten Jahres Hausbesitzer dazu zwingen, funktionierende Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen.
Finanzminister Lindner setzte noch nach den Beratungen einen Tweet ab, der dem Publikum suggeriert, die FDP hätte genau das im harten Kampf mit den Grünen verhindert. Wir halten solche Aussagen für absolut unredlich.
Liest man das Zitat genau, fällt das Wort „möglichst“ auf. Damit sind wir bei unserer Kritik an dem Papier angelangt.
Reale Ziele oder nur unverbindliche Wünsche?
Politiker lieben den Konjunktiv und in Worthülsen eingepackte Sprechblasen. Davon gibt es einige im Text.
Ertüchtigung des Schienenverkehrs
„Mit dem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz Verkehr soll für Schienenprojekte, die im Bedarfsplan im Vordringlichen Bedarf oder als Fest Disponiert eingestuft sind, ein überragendes öffentliches Interesse festgelegt werden.“
Dass man ein überragendes öffentliches Interesse festlegen kann, war uns bis dato gar nicht bewusst. Man kann nur hoffen, dass die Öffentlichkeit diesem formalen Schachzug der Verwaltung folgt und entsprechenden Druck ausübt, um Schienenprojekte auch faktisch zu beschleunigen.
Autobahnneubauten
„Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen.“
Wir erfahren hier, dass durchaus noch ein paar Kilometer neue Autobahnen geplant sind. Ob wir diese tatsächlich brauchen – darüber könnte man zunächst trefflich streiten. Wie dann die Realisierung der Planungen aussieht, wird erfahrungsgemäß mehr von den Interessen der daran Beteiligten bestimmt, weniger von den Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien.
Naturschutz
Hier benennt man zumindest diese Interessenwahrung:
„Es soll geprüft werden, wie das bestehende naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht ausgeweitet werden kann unter Wahrung bestehender Nutzungsinteressen.“
Das heißt übersetzt, wir prüfen erst mal. Prüfungen durch die Politik dauern bekanntlich etwas länger. Manchmal werden sie nach einem Regierungswechsel ad acta gelegt. Nutzungsinteressen haben jedoch unbedingten Vorrang, alles andere wäre schließlich wachstumsgefährdend.
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Ganz schlechte Ideen…
Die Unverbindlichkeit vieler Aussagen ist aber nur ein Aspekt unserer Kritik. Das Dokument enthält darüber hinaus einige Ideen, die wir als absolut kontraproduktiv betrachten. Diese tragen vor allem die Handschrift der FDP. Dass es das schon etwas ältere Lindner-Zitat „Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien“ in den Text geschafft hat, deutet schon am Anfang darauf hin, wie unangemessen groß der Einfluss der FDP (setzt man diesen in Relation zu den erzielten Wählerstimmen) auf die Entscheidungsfindung war.
e-Fuels
Ein ganzer Abschnitt widmet sich den E-Fuels. Auch Verkehrsminister Volker Wissing sollte sich darüber im Klaren sein, dass E-Fuels niemals in den Mengen produziert werden können, um den Weiterbetrieb auch nur eines Teils der deutschen PKW-Flotte auf Verbrennerbasis zu ermöglichen. Mit einem Wirkungsgrad der Prozesskette Strom zu E-Fuel zu Bewegungsenergie von 15 Prozent (optimistisch gerechnet) scheitert dieser Ansatz schlicht an der viel zu geringen Effektivität. Um es in einer Zahl auszudrücken: Man würde ca. 350 TWh Elektroenergie pro Jahr benötigen, um 50 Prozent der auf deutschen Straßen befindlichen Benzin- und Diesel-PKW (LKW nicht mitgerechnet) mit E-Fuels zu versorgen. Das ist mehr als die Hälfte der Strommenge, die in Deutschland 2022 erzeugt wurde. Wir sind nicht grundsätzlich gegen E-Fuels, wenn sie ausschließlich aus Strom aus erneuerbaren Quellen generiert werden. Aber sie werden ein Nischenprodukt bleiben, das vornehmlich für den Betrieb von Flugzeugen, Schiffen, Bau- und Landmaschinen sinnvoll eingesetzt werden kann. Folgendes Zitat aus dem Dokument legt jedoch einen anderen Schluss nahe:
„Die Bundesregierung hat sich mit Erfolg auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass Fahrzeuge, die ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können, auch nach 2035 in der Europäischen Union zugelassen werden können.“
Den Jubel über diesen „Erfolg“ können wir aus o.g. Gründen nicht teilen. Außer für spezielle Anwendungen ist der Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell – ob das Herrn Wissing nun passt oder nicht. Das hat inzwischen sogar die deutsche Autoindustrie erkannt.
Für wenig hilfreich halten in diesem Zusammenhang die Intension, die Produktion von E-Fuels ins Ausland (Afrika und Südamerika) zu verlagern. Dies würde lediglich die beliebte „aus den Augen, aus dem Sinn“-Politik fortführen. Wir wollen schließlich schon heute gar nicht so genau wissen, welchen CO2-Fußabdruck in China gefertigte Waren hinterlassen, die wir nach Deutschland importieren. Gleichsam ist dieses Herangehen nichts anderes als das Eingeständnis, dass die notwendigen Produktionskapazitäten für E-Fuels unsere eigenen Möglichkeiten bei weitem übersteigen. Professor Harald Lesch hat sich zu dem Thema E-Fuels ungewohnt volkstümlich geäußert, indem er in einem seiner aktuellen Videos von Beschiss und Verarschung sprach.
Sektorenziele
Das allzu laute Nachdenken über E-Fuels lässt sich in die Kategorie „konkretes Versagen der Politik“ einordnen. Es ist aus unserer Sicht sogar verzeihlich, weil die physikalische Realität die Massenproduktion von E-Fuels ohnehin ad absurdum führen wird. Anders sieht es mit diesem, zunächst harmlos klingenden Satz aus:
„Zukünftig werden alle Sektoren aggregiert betrachtet.“
Das werten wir als strategischen Fehler. Es geht dabei um die Analyse, wieviel CO2-Emissionen die Sektoren Energieerzeugung, Verkehr und Wärme verursachen – künftig nur zusammengefasst. Letztendlich wird damit das Totalversagens des Verkehrssektors (von der Verringerung des CO2-Ausstoßes kann hier seit Jahren keine Rede sein) weiter verschleiert und damit legitimiert.
Fazit
Es gibt ein paar Fortschritte auf dem Papier. Was davon in der Realität ankommt, bleibt abzuwarten. Daneben gibt es Aussagen, die effektiven Fortschritt von vornherein unterbinden. „Sehr sehr sehr gut“? Mitnichten…
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