Gastartikel von Joshua Ben
Wem schenkt Deutschland eigentlich den Strom?
Die Logik hinter dem, was die Bild-Zeitung als „Energie-Irrsinn“ identifiziert ist schlicht:
Wenn die Strompreise negativ sind, bekommt der Käufer von Strom sogar noch Geld dafür, dass er den Strom abnimmt; In der Regel von demjenigen, der den Strom verkauft. Weil Erneuerbare Energien-Anlagen aber eine Vergütungsgarantie haben, zahlt die Differenz der Deutsche Staat… und macht damit „Milliardenverluste“. Mit unseren Steuergeldern.
Wieviel die Bundesrepublik Deutschland monatlich ausgleicht/zuschießt, kann man übrigens sehr transparent auf der Seite von netztransparenz.de nachlesen: Das sind tatsächlich einige Milliarden Euro. Aber wem schmeißt der deutsche Staat ‚unser‘ Geld eigentlich so freigiebig in den Rachen?
Populisten suggerieren immer gerne, dass ‚wir‘ deutschen Strom ins Ausland ‚verschenken’… vergessen aber, dass der größte Teil des produzierten Stroms im Inland verbraucht/verschenkt wird.
Wenn negative Strompreise auftreten, hat das daher vornehmlich Auswirkungen auf den nationalen Strommarkt – was dann auch die Frage beantwortet, wem wir eigentlich das Geld in den Rachen schmeißen: In erster Linie den deutschen Bürger:innen und den deutschen Unternehmen.
- Die Unternehmen profitieren nämlich davon, wenn Sie sogar noch Geld dafür bekommen, wenn sie ihre Produktionsanlagen hochfahren und die Produktion steigern; allerdings nur, wenn die Anlagen flexibel steuerbar sind. Negative Strompreise bieten also auch einen Anreiz zur Flexibilisierung von Produktionsanlagen. Diese Flexibilisierung wiederum schafft zusätzliche Sicherheit bei der Stabilität der Stromnetze.
- Auch die Bürgerinnen und Bürger profitieren von negativen Börsenpreisen, weil deren Stromtarife in der Regel auf einer Mischkalkulation beruhen und der Mischpreis durch die zwischenzeitlich negativen Preise gedrückt wird.
Wer profitiert noch?
- Errichter von Energiespeichersystemen oder die Betreiber von Elektrolyseuren freut es, dass sie für die Einspeicherung oder Umwandlung von Strom sogar noch Geld bekommen. Das beschleunigt den Umbau der Energieinfrastruktur und setzt Investitionsanreize.
- Die Umwelt freut sich über negative Strompreise, weil diese ein Anreiz sind, fossile Kraftwerke runterzufahren, um das Stromangebot zu verknappen. Wobei negative Strompreise ja überhaupt nur dann entstehen, wenn fossile Kraftwerke bei hohem erneuerbaren Energieangebot eben nicht runtergefahren werden und dadurch ein Überangebot entsteht. Auch hier ist der Hintergrund klar: Wenn das Runterfahren eines fossilen Kraftwerks mehr betrieblichen Aufwand erfordert als Kosten durch den Verkauf von Strom zu negativen Preise entstehen, dann lassen Kraftwerksbetreiber die Anlagen einfach weiterlaufen anstatt die Fahrweise zu ändern. Offensichtlich immer noch ein lukratives Geschäft, wenn man sich die Gewinne der deutschen Energieversorger anschaut. Auch hier bieten negative Strompreise einen Anreiz, den Kraftwerksbetrieb zukünftig flexibler zu gestalten. Denn wenn man Kraftwerke so baut, dass sie flexibel hoch- und runtergeregelt werden können, ist es nur logisch, dass sie zu Zeiten von negativen Strompreise keinen Strom mehr produzieren.
Richtig ist also, dass wir (als deutsche Gesellschaft) zu Zeiten von negativen Strompreisen Geld ins Ausland verschenken. Richtig ist aber ebenso, dass wir bei negativen Strompreisen Geld vom Ausland geschenkt bekommen, wenn wir deren Strom abnehmen. Der Glaube, dass ausgerechnet Deutschland immer nur dann Strom ver- und einkauft, wenn es für ‚uns‘ am ungünstigsten ausgeht, ist an nationalistischer Einfältigkeit kaum zu überbieten. Wer das glaubt, möchte offensichtlich nicht verstehen, dass die Strommärkte und -systeme auf europäischer Ebene funktionieren.
Das europäische Stromnetz
Frankreichs Rechte wollen sich vom europäischen Stromnetz lossagen. So technisch bescheuert die Idee sein mag und so viele europäische Verträge und Gesetze dagegen stehen mögen, so interessant ist die Berichterstattung über diesem Humbug und die Begründungen für diesen hahnebüchenen Unsinn.
„Frankreich müsse aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen, um wieder eine autonome Stromproduktion und günstigere Strompreise zu garantieren.“
Hat Frankreich etwa keine autonome Stromproduktion? Natürlich hat Frankreich diese. So wie jedes andere europäische Land ebenfalls.
Das europäische Stromnetz dient nicht der Sicherstellung der nationalen Stromversorgungen, sondern der technischen und wirtschaftlichen Optimierung eben dieser. Die europäische Stromvernetzung garantiert sicherere Netze und günstigere Preise. Eine Loslösung vom europäischen Stromnetz erhöht das Risiko von Stromausfällen und führt zu höheren Preisen. Sagen übrigens auch alle französischen Stromexpert:innen.
Womit dann auch klar wäre, dass populistische Politiker:innen und dreckschleudernde Desinformationsportale (wie z.B. Nius) völlig losgelöst von der Realität argumentieren.
„Frankreich brauche wieder einen eigenen nationalen Strompreis.“
Wer sich auch nur ein wenig an den europäischen Strombörsen auskennt weiß: Genau das ist der Fall. Einfach mal bei den EEX French Power Futures vorbeischauen, oder beim epexspot-Markt die französischen Preise recherchieren.
Wer endlich wieder nationale Strompreise fordert, der fordert auch, endlich wieder Autos von nationalen Herstellern kaufen zu dürfen. WTF?! Kleines Gedankenspiel: würden französische Autos wohl günstiger, wenn man den französischen Markt gegen ausländische Hersteller abschottet?
Die Argumentation der Rechten in Frankreich suggeriert außerdem, dass die französischen Strompreise günstiger würden, wenn nicht mehr soviel Strom ins Ausland verkauft würde. Eine putzige Vorstellung… die offensichtlich davon ausgeht, dass ein Produkt günstiger wird, wenn es im Überfluss vorhanden ist. Dooferweise bringt Strom, der im Überfluss in einem abgeschotteten Netz anliegt, das Netz zum Zusammenbruch. Was wollen die französischen Rechten dann machen? Atomkraftwerke spontan hoch- und runterfahren? Überschüssigen Strom vernichten? Energie lässt sich nicht vernichten, sondern bestenfalls speichern oder umwandeln. Haben die französischen Rechten schon entsprechende Initiativen oder Patente angemeldet? Natürlich nicht.
Weiterhin besteht anscheinend die naive Ansicht, dass der Stromverkauf ins Ausland für nationale Energieversorger ein Minusgeschäft sei. Spannenderweise findet sich diese Ansicht bei wirklich allen nationalistischen Parteien in allen Ländern Europas. Wenn aber alle Stromexporteure ein Minusgeschäft machen… wie kann es dann sein, dass nach Lesart rechter Meinungsmacher auch der Stromimport ein Minusgeschäft ist. Wobei das in der Wahrnehmung rechter Populisten ungefähr so ist wie mit Schrödingers Katze. Bei Nius oder anderen rechten Portalen weiß man genau, dass Deutschland gleichzeitig Strombettler ist, der teuren französischen Strom einkaufen muss… und gleichzeitig billigsten Strom nach Frankreich verschenken muss.
Wenig erstaunlich ist die Sichtweise bei Frankreichs Rechten umgekehrt. Dauernd muss man billigen Strom nach Deutschland verkaufen… und teuren deutschen Strom einkaufen. Merke: bei Rechten ist Strom immer gleichzeitig teuer und billig.
CSU-Energiepolitiker Andreas Lenz weiß bei Nius zu berichten:
„Man sieht einmal mehr, dass das Thema Versorgungssicherheit auch national gedacht werden muss, zumal es zu wenige Regeln gibt, die das europäische Zusammenspiel garantieren.“
Würde ich nun alle Regeln aufzählen, die das europäische Zusammenspiel garantieren, würde dieser Beitrag zu lang. Angesichts des Umstandes, dass die Stromversorgung in Deutschland zu über 100% mit konventionellen Kraftwerken sichergestellt werden kann, darf man sich schon fragen, ob die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht ZU national gedacht ist.
Überhaupt muss man sich wundern, dass europäische Energiepolitiker:innen herzlich wenig über Energie zu wissen scheinen. Könnt Ihr euch noch erinnern, als neulich die konservative, schwedische Energieministerin meinte, Südschweden könne aus markttechnischen Überlegungen nicht mit Deutschland verbunden werden? Tja… da hat sie wohl nicht mitbekommen, dass Deutschland und Südschweden bereits mit einem Stromkabel miteinander verbunden sind.
Anscheinend haben insbesondere konservative und rechte Politiker:innen ein Bildungs- und/oder Informationsproblem.
Die Original-Beiträge von Joshua Ben finden Sie hier und hier
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