Das funktioniert doch nie!
Uns erreichte die eMail eines Lesers, welcher sehr verärgert und zynisch über unseren Artikel zur ungleichmäßigen Erzeugung der erneuerbaren Energien war, in welchem wir grob dargelegt hatten, dass diese ungleichmäßige Erzeugung kein Problem darstellt, dass insbesondere auch bei 100% erneuerbaren Energien keine langanhaltenden Dunkelflauten in Deutschland zum Blackout führen würden. Er griff sich die zweite Januarhälfte 2023 heraus, in der tatsächlich zehn Tage lang die Erzeugung aus erneuerbaren Energien unter 20 Gigawatt lag (alle Quelldaten von energy-charts).
Neben zahlreichen abfälligen Bemerkungen über den grünen Wirtschaftsminister legte unser Leser ausführlich dar, dass selbst ein Ausbau der erneuerbaren Energien um mehr als den Faktor 2 sowie die Hinzunahme von über 9000 GWh verlustfreien Speichern (die aktuelle Pumpspeicherkapazität beträgt nur 37,4 GWh) nicht würde verhindern können, dass es spätestens am 29. Januar zum Blackout gekommen wäre und schickte uns folgendes Bild seiner Berechnungen:
100% EE = 4 x Wind und 9 x Solar
Das, dachte ich mir, ist tatsächlich eine schöne Berechnung – allerdings unter mehrfach falschen Voraussetzungen. Denn tatsächlich sollten die Wind-Kapazitäten ungefähr vervierfacht und die Solar-Kapazitäten ungefähr verneunfacht werden – was bei modernen Windenergieanlagen an Land mit 4MW Leistung etwas mehr als eine Verdopplung der aktuellen Zahl von Windrädern bedeutet, inklusive Repowering der bestehenden Anlagen, welche unter 4MW leisten (2022 gab es 28.443 Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 63.924 MW, also ungefähr 2,25 MW pro Anlage). Und daß auf deutschen Dächern noch genug Platz für Solarzellen ist, insbesondere bei Hinzunahme von Freiflächen- und Agri-Photovoltaik, hatte ich schon vor längerem grafisch aufbereitet. Dass für diesen Ausbau natürlich auch ein Netzausbau erforderlich ist, hatten wir bereits in diesem Artikel thematisiert – durch die dezentrale Natur der erneuerbaren Energien vornehmlich im Nieder- und Mittelspannungsnetz.
Mit diesen Werten sieht unsere Dunkelflaute sehr viel weniger bedrohlich aus:
Grünes Methan und Wärmepumpen
Umgekehrt aber würde man die Dunkelflaute nicht mit Batteriespeichern bestreiten, sondern mit grünem Methan – und dessen Wirkungsgrad ist gelinde gesagt bescheiden. Grob kann man bei der Elektrolyse von einem Verlust von 30% ausgehen, bei der Methanisierung von nochmals 30% und bei der Rückverstromung von weiteren 40%.
Außerdem wird im Winter geheizt, und in Zukunft soll diese Raumwärme vor allem mit Wärmepumpen bereitgestellt werden. Dadurch wird der Stromverbrauch ansteigen. Aus dem Jahres-Endenergieverbrauch für Raumwärme und der Jahresmitteltemperatur kann man die benötigte Heizleistung als lineare Funktion der Außentemperatur folgendermaßen abschätzen:
Um zu bestimmen, wie viel Strom wir für den Betrieb der Wärmepumpen benötigen, müssen wir berücksichtigen, dass diese um so ineffektiver werden, je kälter es ist. Den Wirkungsgrad oder COP kann man im Mittel bei -15°C auf 2 und bei 20°C auf 4,5 festlegen (wir gehen von 100% Luftwärmepumpen aus, die die häufigste Bauart darstellen), damit ergibt sich folgende Formel (wenn wir einen linearen Verlauf annehmen – dies ist grob auch der Fall, konkret haben viele Wärmepumpen einen Knick zwischen 0°C und 5°C aufgrund der Abtauvorgänge; dies ignorieren wir der Einfachheit halber):
Zusammengenommen können wir also die oben berechnete Wärmeleistung durch den COP dividieren, um den Strombedarf zu bestimmen.
Berücksichtigen wir die Tagesmitteltemperaturen im Januar (feinere Werte stehen leider nicht zur Verfügung), müssen wir die jeweilen Leistungen zur bekannten Last hinzuaddieren. Und ausgerechnet während der Dunkelflaute war es auch noch besonders kalt! Könnten wir unter diesen Umständen die Lücke in der zweiten Januarhälfte schließen?
Die Antwort lautet: Ja, das funktioniert! Und erstaunlich ist, dass der Strombedarf durch die elektrischen Wärmepumpenheizungen gar nicht so massiv ansteigt wie befürchtet.
Elektroautos
Allerdings ist diese Betrachtung immer noch nicht ganz fair. Denn immerhin soll ja auch der gesamte Verkehrs-Sektor elektrifiziert werden. Wir gehen von grob einem Drittel des Endenergiebedarfs für den Mobilitätssektor als zusätzlichen Strombedarf aus (aufgrund der deutlich effizenteren Energienutzung von eFahrzeugen im Vergleich zu Verbrennerfahrzeugen), das wären 201 TWh/a, also knapp 23.000 MW Leistung. Addieren wir diesen Bedarf hinzu, kommen wir in die Bredoullie.
Achten Sie auf die Skala des Füllstandes rechts: Wir haben eine Lücke von 15 TWh! Heißt das nun, dass unser Leser recht hat und die ganze Energiewende Quatsch ist und nicht funktionieren kann? Nun, zunächst mal heißt es nur, dass wir schon im Sommer anfangen müssen, grünes Methan zu erzeugen – 15 TWh, das sind nur 6,11% der vorhandenen Gasspeicher von 24,6 Milliarden Kubikmetern (bei einem Brennwert von 9,97 kWh/m3).
Sommer
Greifen wir uns willkürlich mal den Juni 2022 heraus. Da gab es viel Sonne und wenig Wind und es ergibt sich folgendes Bild:
Auffällig ist, dass jede Nacht ein großer Teil des gerade mühsam erzeugten Methans wieder verbrannt wird. Hier wären Batteriespeicher sehr viel besser, um diese nächtlichen Versorgungslücken zu schließen. Ungefähr 600 GWh Speicherbedarf (bei einem Wirkungsgrad von 90% beim Be- und Entladen) wären dafür erforderlich. Das klingt nach unfassbar viel – wenn aber ein Viertel aller 48,5 Millionen PKW in Deutschland Elektroautos mit der Fähigkeit zum bidirektionalen Laden wären, wäre diese Kapazität bereits erreicht. Wenn wir diese Batteriespeicher mit einbeziehen, sieht der Juni folgendermaßen aus:
Wir könnten also im Juni fast 22 TWh grünes Methan erzeugen, genug um den Januar ohne Versorgungslücke zu überstehen.
Prozesswärme und Biomasse
Was in diesen Betrachtungen allerdings immer noch fehlt, ist der Sektor Prozesswärme – das ist z.B. Hitze zur Glas- oder Stahlherstellung oder für chemische Prozesse, also für Industrieprozesse. Dieser Sektor ist für fast ein Viertel des Endenergiebedarfs Deutschlands verantwortlich und aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Industrieprozesse wird dieser Bedarf sehr unterschiedlich gedeckt werden. Zum Teil werden Hochtemperaturwärmepumpen mit einem Wirkungsgrad größer 1 zum Einsatz kommen, zum Teil wird Strom direkt eingesetzt werden können, zum Teil kann Wasserstoff verbrannt werden, wodurch nur der Wirkungsgradverlust durch die Elektrolyse anfällt, außerdem gibt es bei vielen dieser Prozesse großes Potential zur Flexibilisierung d.h. zur zeitlichen Verschiebung.
Wenn wir grob überschlagen von einem identischen Endenergiebedarf vor und nach der Umstellung auf erneuerbare Energien ausgehen, müssen wir zusätzliche 270 TWh/a an Energie auftreiben, das wären 31.000 MW. Würden wir diesen Bedarf ebenfalls auf unsere Verbrauchskurve addieren, würde es nicht funktionieren – allerdings haben wir noch einen Joker: Die Biomasse. Nur 17% der durch Biomasse erzeugten Energie ist Strom (der in obigen Grafiken enthalten ist), die restlichen 234 TWh/a werden für Kraftstoffe und Wärme verwendet! Und das ist passenderweise fast genausoviel wie die benötigte Endenergie für die Prozesswärme.
Fazit
Nein, die Lichter wären diesen Januar nicht ausgegangen, vielmehr zeigen obige Berechnungen, dass ein klimaneutrales Energiesystem in Deutschland möglich ist – ohne Hinzunahme von Importen aus Afrika oder Australien. Zu demselben Ergebnis kommt übrigens auch eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welche zusätzlich noch Regionalität und Netzausbaukosten berücksichtigt.
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