Am 6.10.2023 hielt Fritz Vahrenholt in Schriesheim an der Bergstraße seinen aktuellen Vortrag zum Thema „Die große Energiekrise und das Scheitern der Energiewende„. Schon im Vorfeld war angesichts seiner früheren Äußerungen zu erwarten, dass der Vortrag durchaus nicht neutral oder auch nur sachlich korrekt sein würde, und diese Erwartung wurde nicht enttäuscht. Hier ist nun ein Faktencheck der wichtigsten Behauptungen aus seinem Vortrag.
Deutschland ist schon super beim Klimaschutz, das wahre Problem ist China
Behauptung
Zu den folgenden Folien erklärt Herr Vahrenholt, China dürfe nach dem Pariser Abkommen seine Emissionen um 50% erhöhen, Deutschlands Beitrag sei angesichts dessen minimal und daher nicht der Rede wert. Im übrigen sei Deutschland sowieso schon ganz vorne mit dabei, sowohl beim Ausstoß pro 1000$ BIP als auch im Pro-Kopf-Ausstoß. Deutschland sei hauptsächlich deshalb so gut beim CO2-Ausstoß im Verhältnis zur Produktionsleistung, weil die deutsche Industrie so eine hohe Recyclingquote habe.
Weiter behauptet Vahrenholt, Deutschland sei ein Geisterfahrer der Energiepolitik, kein anderes Land der Welt würde dem deutschen Weg mit 100% Solar und Wind folgen. Ganz viele Länder ringsum würden in die Kernenergie investieren.
Analyse
Die Aussagen von Herrn Vahrenholt sind auf mehreren Ebenen falsch bzw. irreführend.
Aber China!
Zum einen hat China, genau wie alle anderen Staaten außer dem Iran, dem Jemen und Libyen das Pariser Abkommen ratifiziert und verpflichtet, vor 2030 seine Emissionsspitze erreicht zu haben und ab 2060 klimaneutral zu sein. Freilich ist dies nicht ausreichend, aber China arbeitet konkret auf dieses Ziel hin. China hat schon seit 2010 mehr Windenergie installiert als Deutschland und alleine im Jahre 2022 mehr Solarkapazität hinzugebaut als in Deutschland insgesamt installiert sind.
Zum anderen ist die Aussage „Wieso soll Deutschland seine Hausaufgaben machen, wenn andere sie noch nicht fertig haben?“ selten dämlich. Klimaschutz ist eine Teamaufgabe und jeder muss seinen Beitrag leisten. Wenn man China in seine 22 Provinzen aufteilen und diese separat betrachten würde, so wäre Deutschland mit einem Ausstoß von 2% plötzlich über jeder chinesischen Provinz mit jeweils 1,4%. China ist halt einfach ein sehr großes Land und außerdem die Werkbank der Welt – wir haben große Teile unseres Konsums nach China ausgelagert, das jetzt an unserer Stelle die dafür nötige Energie verbraucht.
Rohstoff-Recycling
Die Aussage, dass Deutschland beim Klimaschutz vorne sei, weil wir so toll Kupfer recyclen, ist ziemlich weit hergeholt. Es ist richtig, dass der Großteil des Metallschrotts wiederverwertet wird, dies ist aber angesichts drastisch geringerer Kosten bei Einsatz von Altmetall im Vergleich zu neu geförderten Rohstoffen geradezu logisch und wird nicht nur von Deutschland so gesehen. Nicht ohne Grund kommt es immer wieder zu spektakulären Fällen von Metall-Diebstahl. Nichtsdestotrotz ist der Anteil von Altmetall bzw „Sekundärproduktion“ gerade bei Kupfer in Deutschland erschreckend niedrig.
Alle anderen bauen Kernkraftwerke
Auch dass rings um Deutschland neue Kernkraftwerke entstehen würden ist eine Falschbehauptung. Richtig ist, dass weltweit nur 53 Reaktoren im Bau sind, die aber nicht einmal ausreichen, um die Kapazität der altersbedingt vom Netz gehenden Reaktoren auszugleichen. Alleine um den Anteil der Atomenergie von 10% an der weltweiten Stromerzeugung aufrechtzuerhalten, wären 120 neue Reaktoren bis 2030 nötig. Tatsächlich haben sich die aktuellen Reaktorbauten im französischen Flammaville und dem finnischen Olkiluoto als finanzielle Katastrophen herausgestellt. So waren die Kosten für Olkiluoto mit 11 Milliarden Euro bezogen auf die installierte Leistung etwa fünf mal so hoch wie bei erneuerbaren Energien. Ob vor diesem Hintergrund die Pläne Frankreichs, 14 neue Reaktoren zu bauen jemals Realität werden, darf bezweifelt werden. Nicht umsonst kämpft Frankreich hart um europäische Subventionen für die Atomkraft.
Deindustrialisierung Deutschlands wegen der höchsten Strompreise der Welt
Behauptung
Zu obigen Grafiken legt Vahrenholt dar, dass Deutschland den höchsten Börsenstrompreis der Welt habe, deswegen würden energieintensive Unternehmen abwandern und Arbeitsplätze verloren gehen. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Graichen habe gesagt, wenn einem deutschen Unternehmen der Börsenstrompreis zu hoch sei, dann solle es doch gehen.
Analyse
Deutsche Strompreise
Zu beliebten Behauptung, dass Deutschland die höchsten Strompreise weltweit habe (und mit der suggeriert wird, dass dies an den erneuerbaren Energien liege), gibt es mehrere Faktenchecks, die alle zu dem Schluss kommen, dass die Behauptung falsch ist und darüber hinaus nicht die Kaufkraft des jeweiligen Landes berücksichtigt.
Strompreisanstieg
Der von Vahrenholt erwähne Anstieg im Herbst 2021 wird auf den steigenden Gaspreis zurückgeführt, nicht auf irgendwelche Entscheidungen des Bundeswirtschaftsministeriums oder auf die erneuerbaren Energien.
Abwanderung
Was die Abwanderungspläne energieintensiver Unternehmen aus Deutschland angeht, hat Vahrenholt grundsätzlich recht. Insbesondere die Chemieindustrie beginnt vermehrt, Investitionen in den USA statt in Europa zu tätigen, und als Grund werden in der Tat die erwarteten hohen Energiekosten bis 2030 genannt.
Zu diesem Thema hat sich am 10. Januar 2023 der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft Marcel Fratzscher zu Wort gemeldet und gesagt:
„Wenn Unternehmen wie BASF große Produktionen ins Ausland verlagern, schürt das die Angst vor einer Deindustrialisierung. Im Grunde bewirken solche Entscheidungen aber genau das Gegenteil: Wenn Unternehmen energieintensive Produktion ins Ausland verlagern, werden sie effizienter und können so auch besser hochproduktive Arbeitsplätze in Deutschland sichern.“
Weiter sagt Fratzscher:
„Aktuelle Zahlen deuten nicht darauf hin, dass der Untergang ganzer Industriezweige unmittelbar bevorsteht. Dennoch: Verschläft die deutsche Wirtschaft weiterhin die ökologische Transformation und die Digitalisierung, könnte eine Deindustrialisierung in zehn bis 15 Jahren tatsächlich Realität werden.“
Die Gründe sind also das Verschlafen genau jener Entwicklung, die Vahrenholt bekämpft. Wenn überhaupt, so sorgt er also selbst für die Deindustrialisierung, denn die erneuerbaren Energien stellen die günstigste Energieform dar.
Abgesehen davon weint er Krokodilstränen, wenn er vor Arbeitsplatzverlusten in Deutschland warnt, denn die Zerstörung der Solar- und Windindustrie in Deutschland in den Jahren 2011 und 2017 hat ebenfalls sehr viele Arbeitsplätze gekostet.
Graichen
Zur angeblichen Aussage Patrick Graichens, damals Staatsekretär im Wirtschaftsministerium, wenn der Strom deutschen Unternehmen zu teuer sei, sollen sie doch gehen, gibt es genau eine Quelle: Das rechte Online-Magazin „Tichys Einblick“. Bezeichnend, woher Vahrenholt sich seine Informationen besorgt. Die eigentliche Aussage Graichens war:
Das ist eine Herausforderung nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Natürlich gibt es Orte auf der Welt, an denen man Strom für ein oder zwei Cent bekommt. Was bedeutet das für uns? Im Wesentlichen wird es wahrscheinlich bedeuten, dass die leicht zu kopierende energieintensive Industrie dorthin gehen wird, wo es diese ein bis zwei Cent gibt. Energieintensive Industrien, in denen es um Know-how, um Fähigkeiten, um Wettbewerbsvorteile geht, die mit komplizierteren Produkten zu tun haben als nur mit den einfachen, darauf müssen wir uns dann spezialisieren. Es ist die alte Geschichte, wo ist billige Energie und welche Art von Industrie ist dort angesiedelt, wo wir billige Energie haben und wo ist die Industrie eher in der Nähe des Kunden angesiedelt.
Die Grünen haben den Börsenstrompreis in die Höhe getrieben
Behauptung
Für den steigenden Strompreis im Sommer 2022 macht Vahrenholt die angebliche Tatsache verantwortlich, dass die Grünen die Kohlekraftwerke nicht zurück ans Netz gebracht hätten, nachdem Putins Gas weggefallen war und die deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet worden waren. Deutschland habe außerdem durch seine Einkäufe den Weltmarktpreis für Gas hochgetrieben, weswegen Pakistan, Bangladesch und Indonesien ihren Kohleausstieg aufgaben.
Analyse
Stromerzeugung
In Wirklichkeit war Deutschlands Erzeugung, insbesondere die Stromerzeugung durch Gas, im Sommer 2022 überhaupt nicht angestiegen, die Kohlekraftwerke liefen durch, und die Stromerzeugung durch Kernenergie hatte nicht abgenommen.
Dass die Kohlekraftwerke durchaus ans Netz waren wo es nötig war, zeigt auch der Blick auf das Frühjahr 2023, wo massiv Kohle verstromt wurde, obwohl die Kernkraftwerke noch am Netz waren!
Strompreisanstieg
Tatsächlich waren für den explodierenden Börsenpreis die ausgefallenen französischen Atomkraftwerke verantwortlich, von denen wegen Schäden, Reparaturen und mangelndem Kühlwasser(!) mehr als die Hälfte abgeschaltet oder mit geringerer Leistung gefahren werden mussten und den daraus folgenden europaweiten Strommangel, wie ein Blick auf den grenzüberschreitenden Stromhandel Frankreichs zeigt:
Während im Februar Frankreich 6,1 TWh Strom exportieren konnte, musste es im August 6,8 TWh importieren. Dass dies für Frankreich nicht üblich ist, zeigt der Blick auf 2021, wo es im Sommer massiv Strom exportieren konnte.
Gaspreisanstieg
Dass der Einkauf von Gas für Deutschland auf dem Weltmarkt in 2022 für ein Ansteigen des Gaspreises gesorgt und damit vor allem asiatische Länder in Versorgungsengpässe gestürzt hat, ist korrekt. Allerdings kommen hier drei Gründe zusammen:
- Russland hatte die Gaslieferungen nach Deutschland eingestellt und es musste schnell Ersatz für den bevorstehenden Winter gefunden werden
- Die am meisten betroffenen Länder hatten ihr Gas nicht durch längerfristige Terminkontrakte besorgt, sondern am volatilen Spotmarkt, wo üblicherweise die Preise geringer sind. Daher wurden sie vom plötzlich gestiegenen Bedarf kalt erwischt
- Das von Deutschland beauftragte Unternehmen THE (Trading Hub Europe) hatte ein sehr seltsames Kaufverhalten an den Tag gelegt, indem sie ebenfalls keine Terminkontrakte kauften, sondern am Spotmarkt riesige Mengen kurzfristig einkauften
Wäre Deutschland nicht derartig abhängig vom Gas, wäre die Situation so nicht eingetreten. Auch hier schützen Wärmepumpen und erneuerbare Energien vor solchen Abhängigkeiten.
Die EU hat mitten in der Ukraine-Krise absichtlich den CO2-Preis ansteigen lassen
Behauptung
Herr Vahrenholt behauptet, die EU habe mitten in der Gaskrise absichtlich den CO2-Preis vervierfacht.
Gefällt Dir dieser Artikel?
Dann unterstütze uns jetzt durch eine Spende oder werde Vereinsmitglied!
Wir vom Team der EUROPAEISCHEN ENERGIEWENDE e. V. freuen uns über die Anerkennung unserer Arbeit und bedanken uns schon jetzt für Deine Unterstützung.
Jetzt spenden! | Mitglied werden |
Analyse
Der Preis der CO2-Zertifikate wird überhaupt nicht von der Europäischen Kommission festgelegt. Einige Zertifikate werden sogar kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie sind ein Gut, welches Unternehmen frei miteinander handeln können. Tatsächlich stiegen die CO2-Preise schon seit dem Winter 2020 stark an und stagnieren seit Anfang 2022.
„Die starken Preissteigerungen [d.h. in 2021] sind maßgeblich auf den im vergangenen Jahr [d.h. 2020] intensivierten europäischen Reformprozess zur Anhebung des Ambitionsniveaus im europäischen Zertifikatehandel für den Zeitraum bis 2030 zurückzuführen. Die Marktteilnehmer haben erkannt, dass die politischen Rahmenbedingungen auf mehr Klimaschutz ausgerichtet werden. Das setzt die erforderlichen ökonomischen Anreize für Investitionen in klimaschonende Technologien und Produktionsweisen. Die Preisentwicklung des vergangenen Jahres kann damit auch als Vertrauensbekenntnis der Marktakteure in die Reformfähigkeit der europäischen Klimapolitik gewertet werden.“
Durch das Abschalten der Kernkraftwerke muss Deutschland Strom importieren
Behauptung
Die obenstehende Grafik zeigt die Stromhandelsbilanz Deutschlands im Jahr 2023 bis Ende Mai. Herr Vahrenholt erklärt dazu, dass Deutschland ab Mitte April 2023 durch Abschalten der letzten drei Kernkraftwerke Stromimportland geworden sei.
Analyse
Schaut man sich die entsprechende Grafik in den Vorjahren an, so fällt auf, dass ein Wechsel von Export zu Import im April der Normalfall ist. Im Winter benötigen die französischen Strom-Direktheizungen mehr Strom als die dortigen Kernkraftwerke liefern können, wogegen der subentionierte franzöische Atomstrom im Sommer billig zu haben ist. Mit der Abschaltung der Kernkraftwerke hat es überhaupt nichts zu tun. Herr Vahrenholt betreibt hier gezielt Irreführung.
Durch das Abschalten der Kernkraftwerke ist der Börsenstrompreis gestiegen
Behauptung
Zu folgender Grafik erklärt Herr Vahrenholt, dass der Wegfall des billigen Atomstroms dafür sorge, dass teure Gaskraftwerke zugeschaltet werden müssen, was wegen des Merit-Order-Effekts bewirke (nach dem zuerst die günstigeren Kraftwerke zum Zug kommen und danach die teureren), dass der Börsenstrompreis stark steige.
Analyse
Zunächst mal stellt Herr Vahrenholt seine Behauptung unter die Prämisse „wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint“. Dies ist aber nicht regelmäßig der Fall, insbesondere nicht im Sommer 2022, als die Strompreise anstiegen.
Tatsächlich sind die Strompreise im Sommer 2022 durch den gestiegenen Gaspreis angestiegen, für den wiederum der Ukraine-Krieg verantwortlich war. Die Denkfrabrik Agora Energiewende zeigt zur Erklärung folgende schematische Grafik ähnlich der von Herrn Vahrenholt:
Diese zeigt, dass sämtliche fossilen Erzeugungsformen einen Preisanstieg erfahren hatten und Gas am stärksten, wodurch sich die Reihenfolge der Erzeuger umsortiert hatte. Tatsächlich waren im Sommer 2022 deutsche Kernkraftwerke ja noch am Netz, wie oben bereits gezeigt wurde. Zudem war der Beitrag der Atomkraft bei weitem nicht so groß, wie Herr Vahrenholt in seiner Grafik suggeriert, nämlich nur rund 3GW.
Die grünen Landesregierungen ließen die abgeschalteten Kernkraftwerke zerstören
Behauptung
Herr Vahrenholt behauptet in seinem Vortrag, dass die grünen Landesregierungen die abgeschalteten Atomkraftwerke angeblich mit Säure hätten spülen lassen, um ein Wiederanfahren dauerhaft zu verhindern.
Analyse
Tatsächlich ist die Dekontamination mit Säure nach Abschaltung gängige Praxis und Teil der Betriebsgenehmigung und wurde von den Betreibern initiiert. Politische Machtverhältnisse spielen dabei keine Rolle.
Bei Dunkelflaute reicht der Strom nicht aus
Behauptung
Herr Vahrenholt zeigt obige Folie (die bezeichnenderweise von Vernunftkraft stammt, einem Verein der sich für den Stopp des Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik einsetzt), welche die Stromerzeugung durch vervierfachte Sonnen- und verdreifachte Windenergie im Dezember 2022 darstellt. Sichtbar ist die Stromlücke in der ersten Dezemberhälfte und Vahrenholt schließt, dass bei Dunkelflaute auch 4x soviel Solar und 3x soviel Windkraft nicht weiterhelfen, denn 3 mal 0 ist immer noch 0. Im Winter scheine die Sonne kaum und nachts sowieso nicht.
Analyse
Eine umfassende Simulation einer solchen Situation am Beispiel Januar 2023, an dem eine ähnliche Dunkelflaute auftrat, hatte ich schon früher vorgenommen. Tatsächlich hat Herr Vahrenholt recht mit der Behauptung, dass eine Verdreifachung der Wind- und eine Vervierfachung der Solarenergie nicht ausreichen – die energywatchgroup empfiehlt zur vollständigen Klimaneutralität eine Vervierfachung der Wind- und eine Verneunfachung der Solarkapazität. Das ist aber weniger dramatisch als gedacht: Es bedeutet bei modernen Windenergieanlagen an Land mit 4MW Leistung etwas mehr als eine Verdopplung der aktuellen Zahl von Windrädern, inklusive Repowering der bestehenden Anlagen welche unter 4MW leisten. Und von den deutschen Dächern müssten dafür nur ca. 20% mit PV belegt werden.
Vahrenholt hat auch recht damit, dass dann noch immer eine Deckungslücke bleibt. Zum Umbau auf ein erneuerbares Energiesystem gehören jedoch auch Speicher, und berücksichtigt man diese mit, wäre Deutschland mit Leichtigkeit durch diese Dunkelflaute gekommen. Auch aktuell verbrennen wir teures Gas, das können wir auch in Zukunft tun, dann aber aus erneuerbarem Strom hergestelltes Methan oder Wasserstoff. Darüber hinaus gehört zur Energiewende auch ein europäisches Verbundnetz, so dass lokale Flauten durch Importe ausgeglichen werden können (natürlich auch in die andere Richtung).
Wasserstoff taugt nicht als Speicher, er ist viel zu teuer
Behauptung
Mit obiger Folie will Herr Vahrenholt beweisen, dass es viel zu teuer sei, grünen Wasserstoff als Speicher einzusetzen. Daher seien Hochspannungsleitungen von Norden nach Süden notwendig und das Niederspannungsnetz müsse ausgebaut werden, außerdem sei ein Redispatch nötig (also das Abregeln von Überschüssen an einem Ort und das gleichzeitige Hochfahren zusätzlicher Kraftwerke anderswo, weil der Strom nicht zum Verbraucher geleitet werden kann).
Analyse
Den Wirkungsgrad der chemischen Speicherung und Rückverstromung gibt Vahrenholt ein wenig zu gering an. Tatsächlich wird man für die Langzeitspeicherung den Wasserstoff weiter in Methan umwandeln. Geht man von einem Wirkungsgrad für die Elektrolyse von 70%, für die Umwandlung in Methan von weiteren 70% und für die Rückverstromung in Gaskraftwerken von 60% aus, so beträgt der Gesamtwirkungsgrad knapp 30%.
Womit er aber komplett falsch liegt ist seine Preiskalkulation. Denn natürlich wird man den Wasserstoff nicht aus an der Börse zu Durchschnittspreisen gekauftem Strom herstellen, sondern aus Überschüssen, die andernfalls abgeregelt oder zu sehr geringen oder sogar negativen Preisen verkauft würden. Der reine Strompreis fällt daher kaum ins Gewicht und daher werden die Kosten trotz des schlechten Wirkungsgrads nicht so hoch sein wie Herr Vahrenholt es darstellt. Aber natürlich sind dafür massive Stromüberschüsse notwendig und für diese wiederum ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Tatsächlich geht Tony Seba von der Denkfabrik RethinkX von einer idealen Überkapazität von im Schnitt 4 aus, d.h. es ist am wirtschaftlichsten, viermal soviel erneuerbare Kapazität zu bauen, wie im Mittel verbraucht wird. Dies hat zur Folge, dass es Perioden geben wird, in denen quasi kostenloser Strom zur Verfügung stehen wird, wodurch ganz neue Industrien entstehen werden. Dass und warum dieser Ausbau ohne verhindernde politische Entscheidungen kommen wird, können Sie hier nachlesen.
Im übrigen ist das ganze Argument ein Scheinargument, denn Strom war in Zeiten hoher Nachfrage und geringem Angebot schon immer teurer – und sofern man nicht direkt Börsenstrom bezieht oder einen variablen Tarif wie Tibber hat, wirkt sich das auf den Gesamtpreis nur sehr abgeschwächt aus. In diesem Fall wiederum greift eine weitere Komponente der Energiewende, nämlich das Lastmanagement: In Zeiten hoher Preise werden nicht notwendige Verbraucher abgeschaltet, in Zeiten geringer Preise wird auf Vorrat produziert.
3 x Wind und 4 x Sonne reichen nicht aus für den Primärenergiebedarf
Behauptung
Mit dieser Grafik will Herr Vahrenholt zeigen, dass eine Verdreifachung der Windkapazität und Vervierfachung der Solarkapazität bei weitem nicht ausreichen, da aktuell Sonne und Wind nur einen Bruchteil des Primärenergiebedarfes ausmachen.
Analyse
Der Fehler in seiner Kalkulation steckt im Wort „Primärenergie“. Denn durch die Umstellung des gesamten Energiebedarfs auf Strom müssen natürlich auch die Prozesse geändert werden, die diese Energie verbrauchen, insbesondere Mobilität und Heizung. Und da Wärmepumpen mindestens ca. zwei Drittel effizienter sind als Gasheizungen und Elektroautos ca. zwei Drittel effizienter sind als Verbrennerfahrzeuge, sinkt auch der Endergieverbrauch (also die Energie, die tatsächlich in Wärme und Bewegung umgesetzt wird) auf ungefähr die Hälfte des heutigen Primärenergiebedarfs.
Deutschland verbrauchte 2021 653 TWh an Mineralöl für Fahrzeuge, bei Elektrofahrzeugen wären das dann ca. 435 TWh weniger. Für Heizung wurden 568 TWh fossiler Brennstoffe benutzt, mit Wärmepumpen wären es ca. 378 TWh weniger. Insgesamt wurden 2407 TWh Endenergie benutzt, nach Wärme- und Verkehrswende wären es dann 1594 TWh. Der Primärenergieverbrauch betrug 3451 TWh, also etwas mehr als das Doppelte. Das bedeutet, die Energiewende selbst ist das gigantischste Energiesparprogramm, das man sich vorstellen kann. Der Grund dafür ist, dass Verbrennung als Prozess einfach unglaublich ineffizient ist.
Durch Windräder ändert sich das lokale Klima, es wird wärmer und trockener
Behauptung
Herr Vahrenholt führt als Argument gegen Windräder an, dass es in ihrer Nähe ca. 0,5°C wärmer und außerdem trockener sei, weil die Anlagen die warme Luft auf den Boden lenken.
Gefällt Dir dieser Artikel?
Dann unterstütze uns jetzt durch eine Spende oder werde Vereinsmitglied!
Wir vom Team der EUROPAEISCHEN ENERGIEWENDE e. V. freuen uns über die Anerkennung unserer Arbeit und bedanken uns schon jetzt für Deine Unterstützung.
Jetzt spenden! | Mitglied werden |
Analyse
Die grundsätzliche Aussage bezüglich der Temperatur ist fast richtig: Sie gilt nur nachts. Tagsüber sind die Luftschichten durch Konvektion sowieso durchmischt. Gegenüber der Erwärmung durch den Klimawandel sind diese Effekte allerdings kaum der Rede wert. Weitere Details finden Sie hier.
Windkraftbetreiber bekommen im Süden mehr Geld für den Strom
Behauptung
Herr Vahrenholt behauptet, dass die Errichtung von Windkraftanlagen nur dort ökonomisch sei, wo Wind weht (er meint nur an der deutschen Nordseeküste), im Süden müsse der Bürger es bezahlen.
Analyse
Herr Vahrenholt kritisiert in seinem Vortrag das sogenannte Referenzertragsmodell (ohne diesen Begriff zu verwenden), welches festlegt, wie viel mehr Vergütung pro Kilowattstunde ein Betreiber für seinen Strom in Standorten schlechterer Güte erhält. Der Grund für dieses Vergütungssystem ist in der Tat die Förderung von Windkraftanlagen an schlechteren Standorten im Süden der Republik. Der Grund hierfür ist allerdings, dass man dann weniger Hochspannungsnetze und weniger Redispatching benötigt, das Herr Vahrenholt an anderer Stelle ja ebenfalls kritisiert. Im übrigen ist die Kompensation durch das Referenzertragsmodell nicht vollständig, d.h. es ist weiterhin nicht egal, wohin man eine Anlage baut, sondern es muss schon noch genug Wind vorhanden sein. Genau deswegen müssen die Anlagen ja auf Höhenlagen gebaut werden, da dort der Wind sehr viel stärker weht als in Tälern.
Windräder töten Fledermäuse, Vögel und Insekten
Behauptung
Herr Vahrenholt wiederholt die üblichen Vorwürfe gegen Windkraftanlagen, nämlich dass diese Fledermäuse, Insekten und Vögel töten würden.
Analyse
Fledermäuse werden tatsächlich von Windkraftanlagen getötet, sofern diese über keine Abschalteinrichtung verfügen. Diese ist jedoch inzwischen bei neuen Anlagen Standard. Details finden Sie in diesem Artikel.
Insekten dagegen kommen an Windkraftanlagen nicht zu Schaden.
Die Situation bei Greifvögeln ist nicht eindeutig. Klar ist, dass die massiven Schäden, die von Gegnern der Windkraft behauptet werden, sehr stark übertrieben, wenn nicht gar erfunden sind. In jedem Fall ist die Forderung, zum Schutz der Vogelwelt einfach überhaupt keine Windkraftanlagen in den Wald zu stellen (oder einen kreisförmigen Abstand um den Horst zu fordern) nicht zielführend. Das Jagdverhalten und damit die Flugbewegung von Greifvögeln wird durch viele Faktoren bestimmt, in erster Linie das Vorhandensein von Futter. Einen umfangreichen Artikel zum Thema finden Sie hier.
Wärmepumpen sparen fast gar kein CO2 ein
Behauptung
Vahrenholt macht folgende Rechnung auf, um zu belegen, dass Wärmepumpen beim heutigen Strommix gegenüber modernen Gasbrennwertkesseln überhaupt nicht wesentlich CO2 einsparen würden.
Analyse
Der Wert von 494 Gramm CO2 pro kWh im deutschen Strommix ist veraltet, aktuell bewegen wir uns im Jahresmittel eher bei 350 Gramm (20% Braunkohle * 1094 g/kWh + 10% Steinkohle * 867 g/kWh + 12% Gas * 358 g/kWh).
Außerdem sind die angenommenen Jahresarbeitszahlen von 3 zu niedrig angesetzt. Moderne Wärmepumpen erreichen eine Jahresarbeitszahl von 3,5 oder 4. Dass Herr Vahrenholt neben dem (zu niedrigen) Mittelwert auch noch einen Einzelwert bei besonders kalten Tagen nennt, verwirrt zusätzlich, da der für die Gesamtbetrachtung irrelevant ist – an besonders warmen Tagen liegt die Effizienz im Gegenzug natürlich weit über vier.
Der dritte Fehler ist der viel zu niedrig angegebene CO2-Ausstoß eines Gasbrennwertkessels. Die angegebene Zahl berücksichtigt nur die Verbrennung im Kessel, was fehlt sind aber Förderung, Transport, Leckagen usw. so dass ein Gesamtausstoß von 210 g/kWh realistisch ist.
Führt man die Rechnung mit diesen Zahlen aus, so ergibt sich:
Wärmepumpe 350 g/kWh / 3,5 = 100 g/kWh gegenüber 210 g/kWh Gasbrennwertheizung. Die Wärmepumpe spart also mehr als die Hälfte des CO2 ein, und mit jedem Windrad, mit jeder Solaranlage wird dieser Wert besser.
Die Presse macht uns mit völlig unrealistischen Szenarien Angst
Behauptung
Herr Vahrenholt kommentiert diese Folie mit der Bemerkung, dass nach seinen Berechnungen das obere Szenario SSP5 bzw. RPC 8.5 gar nicht möglich sei, da uns in diesem Szenario bereits 2080 die Kohle ausgehen würde.
Analyse
Abgesehen von der Tatsache, dass auch die obere Kurve passenderweise 2080 abflacht, ist dies nicht ein Horrorszenario für Panik schürende grüne Politiker oder unter einer Decke steckende Medien, sondern die Kurve, die der IPCC für ein „weiter so“ Szenario berechnet hat. Dies ist der Pfad auf dem wir uns bewegen, wenn wir jetzt nicht deutlich mehr in Klimaschutz investieren als bisher. Wenn Herr Vahrenholt die mittlere Kurve als realistischer einschätzt, so ist dies bereits jene, die eine massive Energiewende voraussetzt – also genau die Maßnahmen, die er ablehnt!
Der Klimawandel ist gar nicht so schlimm
Behauptung
Herr Vahrenholt nutzt den Service des Helmholtz-Zentrums Climate Service Center Germany, um die Klimawirkung der beiden IPCC-Szenarien RCP2.6 (viel Klimaschutz) und RCP4.5 (etwas Klimaschutz) auf den Rhein-Neckar-Kreis zu vergleichen und zu begründen, dass der Unterschied die zusätzliche Anstrengung nicht wert sei.
Er zitiert dazu korrekt aus der entsprechenden Simulation folgende Werte:
Viel Klimaschutz: 4,4 mehr heiße Tage (über 30°C) als heute; 0,9 mehr tropische Nächte (über 20°C); genauso viele Starkregentage wie heute
Etwas Klimaschutz: 7,3 mehr heiße Tage als heute; 2,3 mehr tropische Nächte als heute; 0,9 mehr Starkregentage
Er schließt daraus, dass 2,9 zusätzliche heiße Tage, 1,4 tropische Nächte und 0,9 Starkregentage keine solche Katastrophe darstellen, dass man die notwendigen Anstrengungen aufbringen müsse, sie zu verhindern.
Analyse
In 2022 gab es 17,3 heiße Tage mit einer hitzebedingten Übersterblichkeit von ca. 4500 Sterbefällen, d.h. pro Tag ca. 260 Sterbefälle. Der Unterschied zwischen den beiden Szenarien beträgt also ca. 754 zusätzliche Hitzetote pro Jahr allein in Deutschland (zusätzlich zu den ca. 1144 Menschen, die auch im günstigsten Fall gegenüber heute zusätzlich pro Jahr an Hitze sterben werden). Zu vertreten, das sei ja nicht so schlimm, ist extrem menschenverachtend. Übrigens sind ältere Menschen für hitzebedingte Sterbefälle sehr viel anfälliger als jüngere.
Dass 0,9 mehr Starkregentage egal sind, dürften die Anwohner des Ahrtales anders sehen – diese 4,1 Milliarden teure Flutkatastrophe wurde durch einen einzigen Starkregentag hervorgerufen.
Dass die Vorschläge von Herrn Vahrenholt zur Eindämmung der Klimakatastrophe aber nicht mal für das von ihm hier vorausgesetzte Szenario RCP4.5 ausreichen würden, und damit die Auswirkungen noch weit schlimmer würden haben wir bereits angerissen, Details diskutieren wir weiter unten.
Die natürlichen CO2-Senken kompensieren die meisten Emissionen dauerhaft
Behauptung
Herr Vahrenholt behauptet, die Welt verzeihe uns alle Fehler und überrasche uns mit größerem Pflanzenwachstum und großen CO2-Senken. Die Blätter würden größer und grüner, die Landwirtschaft habe mehr Ertrag wegen des zusätzlichen CO2, Landpflanzen und Ozeane nähmen vermehrt und dauerhaft CO2 auf. Daher sei eine Reduktion der Emissionen um 45% ausreichend, um die Klimaerwärmung zu stoppen.
Analyse
Ergrünung der Erde
Die These, dass die Erde seit den 1980er Jahren deutlich „ergrünt“ sei, basiert auf einer Arbeit von Zaichun Zhu und Shilong Piao von 2016. Beide Autoren haben aber danach weitere Untersuchungen angestellt und stellen fest, dass der CO2-Düngeeffekt nicht notwendigerweise zu einer Reduktion der Klimaerwärmung führe. Beispielsweise vermindere ein zusätzlicher Bewuchs z.B. in arktischen Zonen die Wärmerückstrahlung und sorge daher für weitere Erwärmung.
Höhere Ernteerträge
Zur These, mehr CO2 lasse die Ernten zunehmen, schreibt klimafakten.de:
Etwaige Düngeeffekte durch höhere CO2-Konzentrationen sind längerfristig gering oder null, da die Wirkung anderer für das Wachstum entscheidender Faktoren stärker ist. Mit weiter zunehmenden Kohlendioxid-Werten werden die negativen Effekte des Klimawandels für die Landwirtschaft in vielen Regionen überwiegen. Beispielsweise warnt die Forschung, mehr CO2 in der Luft lasse den Nährstoffgehalt etwa von Weizen sinken – und damit die Güte des daraus gebackenen Brots.
In Wahrheit ist die Zunahme der Erträge in den letzten Jahrzehnten auf die sogenannte „grüne Revolution“ zurückzuführen, nämlich die Entwicklung von Hochertragssorten, den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, Bewässerungssystemen und verbesserte landwirtschaftliche Maschinen. Auf der anderen Seite belasten viele dieser Entwicklungen die Umwelt sehr stark.
Gefällt Dir dieser Artikel?
Dann unterstütze uns jetzt durch eine Spende oder werde Vereinsmitglied!
Wir vom Team der EUROPAEISCHEN ENERGIEWENDE e. V. freuen uns über die Anerkennung unserer Arbeit und bedanken uns schon jetzt für Deine Unterstützung.
Jetzt spenden! | Mitglied werden |
Speicherung durch die Ozeane
Dass die Ozeane eine riesige Menge CO2 aufnehmen (konkret: Etwa 25%-30% der Emissionen) und dadurch den Klimawandel deutlich verlangsamen ist korrekt. Allerdings funktioniert das nicht unbegrenzt und hat außerdem sehr negative Auswirkungen auf die Meere. Es entstehen sogenannte „Todeszonen“ in denen die Temperatur so hoch ist, dass kein Leben mehr möglich ist. Außerdem bindet das CO2 das vorhandene Kalzium im Wasser, so dass Kleinstlebewesen keine Kalkschalen mehr bilden können – und es sind genau diese Lebewesen, die den Großteil unseres Luftsauerstoffes produzieren!
Herrn Vahrenholts These, dass eine Reduktion auf 45% ausreicht, ist daher falsch. Ganz im Gegenteil müsste das menschengemachte CO2 nicht nur aus der Atmosphäre sondern insbesondere auch aus den Ozeanen wieder entfernt werden, um ein vorindustrielles Klima wieder zu erreichen.
Fracking sollte erlaubt sein, um sauberes Gas in Deutschland zu fördern
Behauptung
Als Lösung für das Klimaproblem empfiehlt Herr Vahrenholt statt Windrädern dreierlei. Zum einen Fracking von Erdgas in Deutschland und er zeigt folgende Karte, wo überall in Europa Erdgasfracking möglich wäre, wenn es nicht seit 2017 verboten wäre und plädiert für eine Aufhebung des Verbots.
Analyse
Das Gesetz unterscheidet zwischen Fracking in konventionellen Lagerstätten (vor allem Sandstein auch in größerer Tiefe) und unkonventionellen Lagerstätten (Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein). Während Fracking in konventionellen Lagerstätten unter verschärften Umweltauflagen zum Schutz von Trinkwasser und sogenannte Bergschäden, also Hebungen oder Senkungen des Bodens sowie Erdbeben, weiterhin erlaubt ist, ist das Fracking in unkonventionellen Lagerstätten bis zum Ende von bis zu vier Erprobungsmaßnahmen verboten. Es wurden aber seither weder neue konventionelle Projekte (da die bekannten Lagerstätten mehr und mehr erschöpft sind), noch unkonventionelle Projekte beantragt.
Offenbar sieht die Industrie derartige Projekte unter Erfüllung der Umweltauflagen nicht als rentabel an. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Herr Vahrenholt Erdgasförderung ohne strenge Umweltauflagen fordert, die er gleichzeitig aber für die Windkraft beachtet sehen will. Schaut man sich die Karte genauer an, fällt auf, dass die Bergstraße tatsächlich in einem möglichen Fördergebiet liegt.
Ob dieselben Bürger, die Windräder im Wald ablehnen, ungeregeltes Fracking unter ihren Füßen bzw. im Wald begrüßen würden? Wahrscheinlich nicht – aber das passiert ja hoffentlich woanders. Durch dieses Argument wird dann auch die ganze Scheinheiligkeit der Windkraftgegner sichtbar: Umweltverschmutzung ja, nur halt nicht bei uns! Wer sich informieren will, wie Vahrenholts Alternative in der Realität aussieht, kann z.B. diesen Artikel lesen oder dieses Video anschauen.
Abgesehen davon emittiert die Verbrennung von Erdgas gegenüber Kohle zwar weniger als die Hälfte CO2, mit 358 g/kWh erzeugtem Strom aber immer noch viel zu viel. Verdienen würde an einer solchen Technologie (unter Aufhebung der Umweltauflagen) nur Großkonzerne wie RWE, die den Klimawandel als einer der größten Emittenten weltweit überhaupt erst mit verursacht haben – und zahlen würden es die Bürger.
CCS würde die Kohlekraftwerke CO2-frei machen
Behauptung
Als zweite Maßnahme empfiehlt Herr Vahrenholt, die Kohlekraftwerke durch CCS (d.h. Carbon Capture and Storage: Kohlenstoff-Abscheidung und -Speicherung) „grün“ zu machen. Diese Maßnahme sei auch vom Weltklimarat empfohlen.
Analyse
Tatsächlich nennt der IPCC den Einsatz von CCS als eine mögliche Maßnahme zur Erreichung der Klimaziele, er benennt allerdings auch, dass der breite Einsatz mit erheblichen Herausforderungen verbunden ist. So ist der Einsatz von CCS äußerst energieaufwendig. Zwar werden die Emissionen auf 12% reduziert, es wird hierfür aber 30% mehr Kohle benötigt, was den Energiepreis natürlich steigert! Das steigert die Emissionen am Kraftwerk selbst zunächst um 30%, außerdem muss mehr Kohle gefördert werden, was ggf. mehr Grubengas, also Methan freisetzt. Insgesamt können die Emissionen durch CCS daher nur um zwei Drittel reduziert werden.
Außerdem ist unklar, wo genau das abgeschiedene CO2 gespeichert werden kann, ohne dass es zu Konflikten mit anderen möglichen Nutzungen des Untergrunds kommt, beispielsweise der Speicherung von Erdgas oder regenerativ erzeugtem Methan. Aus wirtschaftlichen Gründen sollten sich die Speicher in der Nähe der Abscheidungsanlagen befinden (also der Kohlekraftwerke).
Kernkraftwerke der vierten Generation sind sicher und produzieren keinen Abfall
Behauptung
Begleitet von einer Grafik, welche die Zustimmung der Bevölkerung zur Kernkraft zeigt, schwärmt Vahrenholt von Kernkraftwerken der vierten Generation, speziell erwähnt er die Kugelhaufen-Reaktoren und Thorium-Reaktoren. Diese seien inhärent sicher und würden außerdem Atommüll verbrennen anstatt neuen zu erzeugen.
Analyse
Kugelhaufenreaktoren
Die Idee der Kugelhaufenreaktoren (oder auch Hochtemperaturreaktoren) ist nicht neu – schon in den 1960er Jahren wurde damit experimentiert. Statt der üblichen langen Brennstäbe werden mit Graphit und Keramik ummantelte Urankügelchen verwendet. Diese Beschichtung verhindert ein Austreten des Brennstoffs und eine Kernschmelze. Die Kugeln werden durch Helium gekühlt, welches dadurch bis zu 750 Grad heiß wird. Dieses Heißgas wird zur Stromerzeugung genutzt.
Tatsächlich hat diese Bauweise aber eine Reihe anderer Nachteile, die der Testreaktor am Kernforschungszentrum Jülich bewies.
- Am 13. Mai 1978 traten durch ein Leck im Dampferzeuger 27,5 Tonnen Wasser in den Reaktorkern ein, wodurch die unmittelbare Gefahr einer sogenannten Überkritikalität und in Folge dessen einer Explosion mit Freisetzung der radioaktiven Materialien bestand
- 1999 wurde entdeckt, dass der Boden, auf dem die Kugeln ruhten, im Betrieb zerbrochen war und Brennelemente in den entstandenen Riss gefallen waren und nicht mehr entfernt werden konnten.
- Es stellte sich heraus, dass durch Abrieb des Graphits sehr viel radioaktiver Staub entsteht, außerdem greift das Helium verbaute Metalle an
- Bauartbedingt ist es nicht möglich, den Reaktorkern hinreichend zu überwachen.
Diese Störfälle und Erkenntnisse wurden von den Betreibern jahrelang vertuscht; Der deutsche Chemiker und Kernforscher Rainer Moormann erhielt für das Bekanntmachen dieser Probleme den Whistleblowerpreis der Vereinigung deutscher Wissenschaftler.
- Außerdem wäre für eine Wiederaufbereitung des Brennstoffs eine Verbrennung der Ummantelung notwendig, wobei das radioaktive CO2 aufgefangen werden müsste. Daher werden die Kugeln als ganzes endgelagert, was eine sehr viel größere Menge radioaktiven Mülls produziert als herkömmliche Reaktoren.
Transmutation, also die Umwandlung von Atommüll ist in einem solchen Reaktor gar nicht möglich, jedoch zu einem gewissen Grad in manchen anderen Arten von Kernreaktoren, z.B. in den erwähnten
Thorium- oder Salzschmelzreaktoren
Diese sind tatsächlich inhärent sicher, weil der Brennstoff sowieso schon als erwünschtes geschmolzenes Salz vorliegt. Allerdings werden durch die Korrosion die Metalle des Reaktors angegriffen, was der Grund dafür ist, dass Salzschmelzereaktoren zurzeit nur als Forschungs- oder Pilotanlagen existieren. Obwohl eine Kernschmelze bauartbedingt ausgeschlossen ist, sind jedoch andere Störfälle möglich (z.B. Auskristallisierung des Brennstoffs, Erzeugung von kernwaffenfähigem Material), die noch nicht vollständig verstanden wurden. Die Reaktorindustrie investiert kaum in derartige Reaktoren und der erhebliche Entwicklungsaufwand wird so hoch eingeschätzt, dass noch 40 Jahre bis zur Serienreife vergehen dürften. Für einen Einfluss auf die Klimakrise ist dies bei weitem zu spät.
Transmutation
Grundsätzlich ist die Transmutation ein hochkomplexes Verfahren. Zunächst müssen die verschiedenen Spaltprodukte chemisch voneinander getrennt werden (Partitionierung). Ein solches Verfahren muss erst noch entwickelt werden. Produkte mit langer Halbwertszeit können durch Kernspaltung oder Neutroneneinfang in andere, ebenfalls radioaktive Stoffe umgewandelt werden, allerdings ist die dadurch freiwerdende Energie im Vergleich zum üblichen Leichtwasserreaktor klein und es können in selben Reaktor auch nicht alle Stoffe umgewandelt werden. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer möglicher Verfahren, die jeweils ihre Vor- und Nachteile haben. Teilweise entstehen noch gefährlichere Stoffe als jene, die aufbereitet werden sollen (z.B. waffenfähiges Plutonium), teilweise werden genau diese wiederum umgewandelt, wodurch wiederum große Mengen andere schwächer radioaktive Materialien entstehen, die ihrerseits endgelagert werden müssen.
Insgesamt ist kein Verfahren so weit, dass es kommerziell eingesetzt werden könnte und Schätzungen gehen von mehreren Jahrzehnten Forschung aus, bis es so weit sein könnte. Tatsächlich werden erste Reaktorprojekte schon wieder gestoppt, weil sie ökonomisch nicht mit dem Hochlauf der erneuerbaren Energien konkurrieren können.
Mehrheit für Kernkraft
Dass es inzwischen angeblich eine Mehrheit in der Bevölkerung für Kernkraft gibt, ist genau solchen desinformierenden Vorträgen wie dem von Herrn Vahrenholt und entsprechenden Kampagnen z.B. in Medien wie BILD zu verdanken.
Fazit
Insgesamt sind die Vorschläge von Herrn Vahrenholt weder ausgereift noch ausreichend – weswegen er auch zunächst den Klimawandel verharmlosen muss, um sie überhaupt verargumentieren zu können.
Im Gegensatz dazu sind die erneuerbaren Energien bereits heute verfügbar und sehr viel günstiger – während die Kosten für Kernkraft immer weiter ansteigen, sinken sie für die erneuerbaren Energien exponentiell. Darüber hinaus sind sie sehr viel sicherer – wenn ein Windrad abbrennt oder umfällt, ist nicht die ganze Umgebung verseucht. Und zuletzt ist der unschlagbare Vorteil von erneuerbaren Energien, dass sie zu regionaler Wertschöpfung führen und keine finanzstarken, multinationalen Konzerne zum Betrieb erfordern, denen der Profit wichtiger ist als die Moral.
Gefällt Dir dieser Artikel?
Dann unterstütze uns jetzt durch eine Spende oder werde Vereinsmitglied!
Wir vom Team der EUROPAEISCHEN ENERGIEWENDE e. V. freuen uns über die Anerkennung unserer Arbeit und bedanken uns schon jetzt für Deine Unterstützung.
Jetzt spenden! | Mitglied werden |